Kolumne

Nackte Tatsachen 

“Schildkröte Zwei hat Urlaub!“ Wie bitte? Außerhalb des eigenen Haushalts versteht das keiner! Außerdem sind Haustiere gar nicht erlaubt! Nein, gemeint ist eine bestimmte Wohnung. Gleich beim Einzug stand wochenlang eine Kiste mit Decke auf dem Balkon, aus der ab und an ein Sa-latblatt hervorlugte. Die Vermu-tung, dass der Bewohner sich ein Kleintier hielt lag nahe,  eine Ü-berdosis „Dittsche“ produzierte mühelos das ID-Kennzeichen   „Schildkröte“ für dieses Apartment und nach Mieterwechsel wurde einfach durchnummeriert.
Wir alle schauen nun einmal in die umliegenden Fenster und da merkt man nach einiger Zeit auch ohne akribische Recherche wer von den Nachbarn viel reist, viel arbeitet, gern grillt, ein Instrument spielt oder spät ins Bett geht. Diese Gewohnheiten geben uns etwas Vertrautes, ein Gefühl von Heimat und Sicherheit, wenn wir wissen was so um uns herum passiert. Da folgt schon einmal nach eher übermütigem Winken, ein Spontanbesuch mit Blumen-topf, aus dem sich ein gemeinsamer Theaterabend entwickelt.

 

Der Kapitän von der „Paul Abicht“ kennt sich auch bestens aus in unserem Dorf: „Ja, meine Damen und Herren, das ist hier die HafenCity und hier sind die Wohnungen sehr teuer. So teuer, dass sich einige Mieter gar keine Gardinen leisten können!“ – Pause – „Und es sind auch welche dabei, die können sich schon keine Kleidung mehr kaufen!“ Ein Brüller! Regelmäßig!  

Na gut, es stimmt, wir haben alle schon einmal plötzlich einen nackten Po oder einen blanken Busen durch die Fensterscheibe blitzen sehen. Was soll’s! In der Regel gibt es da keine großen Überraschungen oder etwa Unbekanntes auszumachen….
Bei unseren jährlichen Sommerfesten im Hof oder auch im Kreuzfahrt-Terminal gibt es Gelegenheiten Gesichter von Gegenüber ganz nah zu studieren. Manchmal sind die Menschen größer, jünger und sympathischer als aus der Ferne oder wir haben den Nachbarn gar nicht wieder erkannt, weil er keinen weißen Bademantel trug, sein Laptop nicht dabei hatte, der Hund nicht vor ihm herlief oder die Kinderkarre fehlte. Anonyme HafenCity-Bewohner bekommen bei diesen Treffen Namen und Lebensläufe, öfters werden Parallelen in der Berufs- und Freizeitwelt aufgedeckt.  Manchmal gibt es als Kulisse noch ein Feuerwerk oder ein Kreuzfahrer gleitet über den Strom – in der Hand ein gutes Tröpfchen, nur fröhliche Gesichter! Das lässt sich hier aushalten!