Reif für die Kiste
Es lässt sich nicht leugnen: Die Bräune verschwindet ganz allmählich und die schönen Tage werden kürzer! Schade! Natürlich haben wir Highlights in digitalen Schnappschüssen archiviert und sind selbst auf dem Balkon „Google-Street-Map-like“ und ohne Schutz der Privatsphäre unzählige Male geknipst und abgefilmt worden. Aber was bleibt im Gedächtnis vom Sommer 2010? In meiner virtuellen Memory-Kiste habe ich bemerkenswerte Eindrücke inklusive Gerüche und Geräusche gespeichert, kann sie ohne Akku und Stromanschluss jederzeit abrufen, bin fortschrittlichsten Bildaufnahmetechnologien somit immer noch überlegen. Zum Beispiel jener Samstagmorgen noch vor acht Uhr, als ich die menschenleere Promenade herunterschlendere, nur Hafengeräusche leise dröhnen, eine Möwe mir fast unsichtbar zunickt, der Wind so taufrisch um meine nackten Beine weht, da fühle ich den Sommer in der HafenCity! Alles ist sauber und aufgeräumt, nur die gestapelten Bistro-Möbel deuten daraufhin, dass sich das in ein paar Stunden ändern wird. Vasco-da-Gama–Platz, Marco-Polo-Terrassen – alles meins! Reichtum ohne Ende!
Ein Nachmittag: Die Sonne hat endlich die Wolken weg geschoben, wir haben es uns vor der Elbjazz-Bühne auf den Holzliegen bequem gemacht, lauschen mit geschlossen Augen dem Swing. In wohliger Wärme vergessen eine Weile die Zeit… Ganz privat, doch in der Menge, Entspannung pur… Die Liegen werden härter, wir schrecken hoch und die HafenCity-Welt ist wieder da – und wie: ein Wirrwarr von Füßen, Decken, Kinderkarren, Liegestühlen, Flaschen, Gläsern, junge Familien, Nachbarn, coole Jazzer, Touristen, sie alle lauschen mit einem Lächeln dem Kult-Ereignis. Eine Stimmung, so leicht. so fröhlich, so festlich, ganz wie es sich für ein Openair-Konzert gehört. Das kann kein Festival-Organisator planen!
Ein Südseeabend: 25 Grad um 21 Uhr, die Sonne glüht immer noch über der Elbphilharmonie, meine Lieblingsbank ist frei, beste Sicht auf die Elbe, auf der Zunge noch etwas Eis, die Hände klebrig – dann fängt es hinter uns ganz leise an zu zupfen. Es entwickelt sich zu spanischen Gitarrenklängen, zart und doch temperamentvoll. Der Spieler verzaubert den Ort vor Unilever zu einer Flamencobühne. Er trägt Anzug, vielleicht hatte er bis eben noch gearbeitet und entspannt jetzt am Hafenrand. Er sieht uns nicht, ist eins mit seiner Gitarre und wir dürfen dabei sein. Der so nicht reproduzierbare Moment vom Sommer 2010 darf in meine Memory-Kiste. Für die nächsten Jahre bleibt noch etwas Platz.