Abenteuer Demokratie
Von denen, die auszogen, um über den Wahlkampf zu berichten
Die Aufgabe: Denen auf den Zahn zu fühlen, die sich im Februar für Hamburg und damit auch für die HafenCity zur Wahl stellen. Das Problem: Abseits ausgetretener Pfade und hohler Phrasen Aussagen zu erwischen, die wirklich von Relevanz sind. Dabei kam es zu erstaunlichen Erlebnissen. Die HafenCity, als politisches Thema, ist, so scheint es, ein politisches Minenfeld. Verblüffend die Reaktion einer Pressesprecherin, die ein mündliches Interview zum Thema HafenCity schlicht mit der Begründung ablehnte, dass ein Interview zur HafenCity immer besser schriftlich erfolgen sollte.
Eine andere Pressesprecherin stellte fest, dass unsere Fragen für ein Interview sehr „direkt“ seien. Schade, so vertaten zwei KandidatInnen die Möglichkeit, im Interview Profil zu zeigen und lieferten teilweise, das ab, was wir bereits kennen: banale Interviews! Es gab dann aber auch die Spitzenpolitiker, die sich für uns Zeit nahmen und dafür andere Interviews absagten oder nach kalten Stunden am Informationsstand mit uns sprachen. Die zweite Reihe zeigte sich sehr auskunftsfreudig und profilstark. Im Mittelpunkt unseres Interesses lagen selbstverständlich die Fragen nach Konzepten und Lösungen für die dringenden Probleme in der Stadt- und in unserem Quartier. Was geschieht mit dem Verkehr, wer bietet welche Lösung beim Wohnungsbau und wer nennt Probleme und Lösungen beim Namen und redet nicht um den heißen Brei herum?
Generell muss man – entgegen der beliebten Politikerschelte – einfach mal den ehrenamtlichen und Feierabendpolitikern aller Fraktionen ein großes Lob aussprechen. Bei wirklich niemandem den wir trafen, fanden wir keine Ernsthaftigkeit und kein Engagement. Hut ab vor dem großen Arbeitsaufkommen dieser Politikarbeiter. Gerade die ehrenamtlichen Bezirksabgeordneten sind mit erstaunlichem Arbeitspensum und sehr guten Orts- und Problemkenntnissen unterwegs, mit ernsthaften Überlegungen und Ideen, mit hohen Frustrationsgrenzen, sehr kritisch auch zum Teil gegenüber den eigenen Parteioberen, mit Koalitionen der Vernunft weitestgehend unabhängig von ideologischen Differenzen. Auf der anderen Seite bekommt man parteiübergreifend den Eindruck, dass Hamburg auf eine wirklich bedenkliche Situation hinsteuert, resultierend aus Fehlern der Vergangenheit, die in naher Zukunft die Handlungsfähigkeit der Politik und des Staates ernsthaft gefährden können. Das, was jetzt schon an Alt- und Neulasten auf dem Stadtsäckel lastet, lässt beim näheren Hinsehen alle guten Absichten und Pläne als Makulatur erscheinen – und stellt Wahlversprechen in Frage.
Unter diesen Vorzeichen die richtige Partei und den richtigen Bürgermeister für Hamburg zu finden, ist nicht einfach und wirft so ziemlich alles über den Haufen was man an Ideologie im Kopf hat. Hamburg braucht praktische Lösungen und keine Ideologien. Silber-, Goldund möglicherweise demnächst Platinzertifikate sind keine praktische Lösung, sondern machen den Wohnungsbau unnötig teuer. Da bringt es, wie Andy Grote von der SPD und auch die FDP vorschlägt, mehr, wenn die vorhandene schlechte Bausubstanz aus den 50er und 60er Jahren energetisch saniert wird. Was irgendwie fast alle Parteien erkannt haben ist, dass die Stadtbahn tot ist. Hier müssen alle Verkehrsplaner noch einmal an den runden Tisch und möglicherweise die ursprüngliche Idee der Hochbahn verfolgen, mit Hybridwagen, die aus der U-Bahn ausgefädelt werden, eine praxisgerechte Lösung finden. Der Oberbaudirektor lehnte ursprünglich diese Idee ab – sollte aber im Sinne einer finanzierbaren und akzeptablen Lösung noch mal über seine Entscheidung nachdenken.
Überhaupt haben Verkehrsplaner in Hamburg eine gute Zukunft, keine abgestimmten Verkehrskonzepte, nicht ausreichende Planungen, notwendige Planänderungen und die Auswirkung der jetzigen Situation auf die Stadtteile und auf die Innenstadt sind ein Themenfeld, das viele Verkehrsplanungsbüros in den kommenden Jahren ernähren wird. Die entscheidende Frage ist, ob der Zug bereits abgefahren ist oder ob pfiffige und bezahlbare Ideen aus den Schubladen geholt werden. Da, wo vierspurige Stadtautobahnen gebaut werden, muss man sich nicht wundern, wenn sie benutzt werden – und gerade die Durchgangsstraßen in der HafenCity sind entsprechend ausgelegt. Ob die Politik aus diesen Fehlern lernt, müssen uns die neugewählten Volksvertreter erst einmal zeigen! Bei der aktuellen Diskussion mit dem angeblichen Schreckgespenst Citymaut muss man sich nicht wundern, wenn der Bürger komplett den Überblick verliert, wer für was und unter welchen Umständen ist. Für den normalen City-Anwohner sollte die Citymaut kein Tabuthema sein. Bei nüchterner Betrachtung ist dieses verpönte Mittel unter Umständen das einzige Mittel, um den Verkehr in der Innenstadt erträglich zu machen, zumal Wohnen in der Innenstadt immer attraktiver und gefragter wird. Wer hier vorzeitig alle Optionen ausschließt muss erstmal realisierbare Alternativen aufzeigen. Was London kann, sollte Hamburg schon lange können.
Auf die Dauer kann sich keine europäische Großstadt solchen Lösungen verschließen – die europäische Umwelthauptstadt 2011 schon gar nicht. Beim Wohnungsbau sieht das schon anders aus. Hier scheinen die meisten das Problem und die Ursachen erkannt zu haben – Hoffnung besteht, dass wir hier einen großen Aufbruch erleben werden. Alles steht und fällt allerdings mit einem professionellen Finanzmanagement, etwas, das die CDU schon seit Jahren verspricht, aber immer genauso weit entfernt ist, wie zu Beginn ihrer Regierungszeit. Wenn es der Stadt nicht gelingt, ihre Bauprojekte und deren explosive Kostensteigerungen endlich in den Griff zu bekommen, sieht es düster aus mit der Finanzsituation Hamburgs. Wenn das Neuverschuldungsverbotsgesetz 2020 greift, ist Hamburg handlungsunfähig, denn nicht nur die Elbphilharmonie mit einem geschätzten Betriebshaushalt von 25 Millionen Euro im Jahr steckt immer noch voller Risiken – es gibt eine lange Liste von Projekten mit drohendem Risikopotenzial, angefangen bei dem Neubau der BSU in Wilhelmsburg, nicht endend mit dem Neubau der HCU. Bei all diesen durchweg interessanten Gesprächen haben aber auch wir was gelernt: Das neue Modewort, das alle Parteien sich und uns ins Poesiealbum schreiben, ist „Bürgerbeteiligung“. Hier haben alle Parteienvertreter unterschiedliche Konzepte und Vorgehensweisen aber sehr viel guten Willen. An Ihnen und an uns liegt es, das Wort nicht zum Unwort des Jahres 2011 verkommen zu lassen. Es bleibt spannend.