Das einladende Rathaus
Republikanischer Bürgerstolz und Frauenpower
Der Eingang des Hamburger Rathauses lädt ein: durch ein offenes, schmiedeeisernes Tor tritt man in die Eingangshalle direkt unter den Turm und gelangt dann in die großzügige Diele. Hier wird niemand am Eintreten gehindert. Diese Halle steht jedem Bürger offen und stimmt ihn auf die Würde des Hauses ein. Schon im Mittelalter waren die Diele und der darüber liegende Raum Kennzeichen der meisten Rathäuser. Damals wie heute herrscht reges Treiben. Als durchlässige Verbindung zwischen Rathausmarkt, Innenhof und Börse sieht man Menschen zielstrebig die Halle durchqueren. Die Führungen durch das Rathaus beginnen hier mit dem Glockenschlag der Rathausuhr, und wechselnde Ausstellungen finden hier statt. Der imposante Raum wird von 16 Sandsteinsäulen dominiert, die ihn zu tragen scheinen. Darüber erstreckt sich das spitzbogige Sterngewölbe. Der helle, warme Sandstein gibt dem Raum trotz seiner Dimensionen eine freundliche Atmosphäre. Bequeme Holzbänke, die sich rund um die Säulen schmiegen, laden zum Verweilen ein. Es herrscht ein munterer Stilmix: das gotische Deckengewölbe ruht auf Pfeilern, deren Zuschnitt eher an romanische Kirchen erinnert und deren Ornamente klassizistisch anmuten. Seitwärts führen zwei ganz unterschiedliche Treppenaufgänge in die Hauptgeschosse. Hier wird die gelebte demokratische Gewaltenteilung sichtbar!
Dieses Rathaus ist das einzige Regierungsgebäude in Deutschland, in dem die Legislative und die Exekutive unter einem Dach sind. Zum Senatsbereich geht es über flache, einladende Stufen vorbei an zwei Wappen haltenden Löwen durch ein kunstvoll geschmiedetes Tor in das repräsentative Treppenhaus. Gegenüber wird die parlamentarische Arbeit symbolhaft dargestellt. Von jeder Seite führt eine Treppe nach oben, es herrscht Meinungsvielfalt! Mittig gibt es eine Rednerbühne, die an Debatten im Parlament erinnern soll. Der aufmerksame Betrachter macht eine lohnende Entdeckung: Die Sandsteinsäulen sind mit Medaillons verdienter Hamburger Bürger versehen. Die Rathausbaumeister erhielten seinerzeit vom Senat den Auftrag, eine Liste zu erstellen, aus der 60 Personen ausgewählt werden sollten, die sich um die Stadt verdient gemacht hatten. Es gab sogar eine „Ruhmesliste der Bürgertugenden“, die die Auswahlkriterien enthielt, und selbst Frauen waren zulässig. Im Oktober 1896 erging der Senatsbeschluss über die endgültige Anordnung der Porträts.
Das regierende Bürgertum war überproportional vertreten, der „einfache Mann“ fand hier, wie sonst auch damals, wenig Beachtung. Eine der Säulen verdient besondere Aufmerksamkeit. Links neben dem Aufgang zum Senat steht die „Frauensäule“ und zeigt vier Bürgerinnen; Frauen ihrer Zeit, die gemeinsam dieser Zeit weit voraus waren und hier zu Recht für Ihr Engagement gewürdigt werden:
Mathilde Arnemann (1809–1896) kümmerte sich um benachteiligte Menschen, ohne Rücksicht auf deren Herkunft und Bildung. Sie war eine unermüdliche Spendensammlerin und übernahm während der Kriege mit Dänemark selbst die Pflege Verwundeter. Als der preußische König sie in den Adelsstand erheben wollte, lehnte sie dies „aus Bürgerstolz, als Hamburgerin und Republikanerin“ ab.
Charlotte Paulsen (1797–1862) erfuhr während ihrer Kindheit und Jugend sowohl den Wohlstand als auch die Verarmung ihrer Familie. Durch Napoleons Kontinentalsperre verlor ihr Vater, der wohlhabende Bankier und Kaufmann John Thornton, sein Vermögen. Fortan kümmerte auch sie sich auf unkonventionelle Art, fern aller dogmatischen und konfessionellen Enge, besonders um die Ausbildung von Mädchen und jungen Frauen. Ihre neuen, ungewöhnlichen Methoden und Ideen trugen ihr Kritik und Anfeindungen ein, sie aber leistete unbeirrt weiterhin soziale Pionierarbeit.
Emilie Wüstenfeld (1817–1874) war Philanthropin und Gegnerin der engstirnigen, orthodoxen Kirchlichkeit. Zusammen mit Charlotte Paulsen errichtete sie den „Frauenverein zur Unterstützung der Armenpflege“. Später engagierte sie sich in pädagogischen Projekten zur Ausbildung junger Frauen. Heute ist das Eppendorfer Gymnasium in der Bundesstraße nach ihr benannt. Amalie Sieveking (1794–1859) entstammte einer Hamburger Kaufmannsfamilie und war bereits mit 15 Jahren Vollwaise. Das Leid, das sie in ihrer Familie erfahren musste, stärkte ihren Willen nach selbstständiger Tätigkeit. Sie heiratete nicht und setzte ihre ganze Kraft und Lebensarbeit in den Dienst an Hilfsbedürftigen und Armen. Ihr fester Glaube unterstützte sie dabei. Sie wirkte bahnbrechend auf dem Gebiet des christlichen Sozialwesens und setzte sich besonders für die selbstständige Arbeit der Frau ein. Durch eine Schenkung der Stadt konnte sie 1840 das Pflegeheim Amalienstift errichten. Sieben weitere Stifte kamen hinzu, und so wurde sie eine der Begründerinnen der weiblichen Diakonie.
Man mag die Arbeit dieser Frauen aus heutiger Sicht ein wenig belächeln: Sie alle haben sich ausschließlich in sozialen Bereichen engagiert. Ein Bereich, der Frauen als „natürlich“ zugeschrieben wurde, und vieles, für das diese Frauen gekämpft haben, erscheint uns heute selbstverständlich. Aber sie alle waren mutig, haben sich entschieden über ihre Grenzen hinweggesetzt und Großes geleistet. Viele ihrer Ansätze dürften auch heute noch Gegenstand aktueller Bürgerschaftsdebatten sein … (UL/CF)