Das Land der Hoffnung
Buchtipp: Julie Otsuka, „Wovon wir träumten“
„Vielleicht hatten wir einen Bruder oder Vater ans Meer verloren, oder einen Verlobten, oder jemand, den wir liebten, war eines unglücklichen Morgens ins Meer gesprungen und einfach fortgeschwommen, und nun war es auch für uns an der Zeit, aufzubrechen […].“
Anfang des 20. Jahrhunderts verlassen junge Japanerinnen ihre Heimat, um in Kalifornien japanische Einwanderer zu heiraten. Die zukünftigen Ehemänner kennen sie nur von Fotos der Heiratsvermittler; das Land, in das sie mit dem Schiff aufbrechen, nur aus Erzählungen. Eines haben die Frauen, viele davon noch junge Mädchen, gemein: die Hoffnung auf ein besseres Leben.
Schon bei der Ankunft werden sie enttäuscht: Die Fotos, die sie in den Händen halten, zeigen nicht ihre Ehemänner. Ihre Ehemänner sind keine jungen, gutaussehenden Japaner, die im Büro arbeiten. Ihre Ehemänner sind viel älter als sie selbst, leben zumeist unter menschenunwürdigen Bedingungen und arbeiten auf dem Feld. „Unser zuhause war ein Feldbett in einer ihrer Schlafbaracken auf der Fair Ranch in Yolo.[…] Zuhause war ein Bett aus Stroh in John Lymans Scheune […]. Zuhause war ein alter Hühnerstall in Willows […]. Zuhause war eine verflohte Matratze in der Ecke eines Packschuppens […].
Die Japanerinnen sprechen kein Englisch, müssen mit ihren Männern auf dem Feld arbeiten, und bekommen dort auch ihre Kinder. Sie werden diskriminiert: „Sie lernten, wann sie im YMCA schwimmen gehen konnten – Für Farbige montags geöffnet – und wann sie im Pantages Theater in der Stadt Filme schauen konnten (nie) […].“
Sie werden ausgenutzt, missbraucht, geschlagen – und tragen ihr Schicksal mit Anmut und stiller Würde.
Sie denken oft an die Heimat, die sie verlassen haben, und träumen von ihren daheim gebliebenen Kindern: „[…] eine winzige Person, in einem dunkelroten Kimono, die an einem Pfützenrand hockt, vollständig versunken in den Anblick einer schwimmenden toten Biene.“
Sie bleiben unter sich, und keiner vermisst sie, als sie im Krieg verschleppt werden: „[…] es ist beinahe, als seien die Japaner nie hier gewesen.“
Julie Otsuka griff auf zahlreiche historische Quellen zurück: die Lebensgeschichten japanischer Einwanderer. Der Roman ist in der Wir-Form erzählt, der Leser lernt – anhand von Aufzählungen – die verschiedenen Schicksale der Japaner in Amerika kennen. Es ist ein eindringlicher Roman, der erschüttert, und doch durch seine klare und bildliche Sprache verzaubert. „Wovon wir träumten“ wurde mit dem PEN / Faulkner Award ausgezeichnet und für zwei weitere große Literaturpreise nominiert. Dies ist Otsukas erster in Deutschland erschienener Roman. (AF)
Das Buch ist im mareverlag am 10. Juli 2012 erschienen.
ISBN 978-3-86648-179-4
18 Euro