„Suche nach der verlorenen Mutter“
Buchtipp: „Der Duft des Regens“ von Frances Greenslade
„[…] Wir warteten voll Vertrauen, denn sie war immer eine wundervolle Mutter gewesen. Sie ist die Mutter, sagten wir uns immer wieder […] Wir warteten darauf, dass sie kam und uns holte, aber sie tat es nicht.“
Die Schwestern Maggie und Jennie leben mit ihren Eltern in den Wäldern im Westen Kanadas in einem kleinen Haus. Sie machen Ausflüge, sammeln Beeren und Pilze, spielen im Wald und leben ein einfaches, aber geborgenes Leben in ihrer Familie. Als der Vater bei einem Arbeitsunfall ums Leben kommt, ändert sich alles: Die Mutter, nun gezwungen, den Lebensunterhalt zu verdienen, lässt ihre Töchter bei einer fremden Familie in der Stadt zurück – vorübergehend, sagt sie. Es vergehen Tage, Wochen, Monate und schließlich Jahre; die Mutter kehrt nicht zurück. Anfangs kommen noch Briefe und Geld für den Unterhalt; erst bleibt das Geld aus, dann die Briefe. Maggie macht sich auf die Suche; eine Reise in die Vergangenheit ihrer Mutter: „Mom erschien mir wie ein See, an dessen Oberfläche Jenny und ich herumschwammen, ohne die geringste Ahnung, welche grünen Tiefen unter uns lagen.“
Der Roman ist dominiert von Maggies und Jennies innerer Zerrissenheit: Sollen sie sich Sorgen um ihre vormals so fürsorgliche Mutter machen, die sich nicht meldet? „Ich habe gehört, dass Mütter unglaubliche Dinge vollbringen können, wenn ihre Kinder in Gefahr sind […]. Das, was meine Mutter an jenem Morgen vollbracht hatte – den unerklimmbaren Baum hinauf- und mit der verängstigten Katze auf der Schulter wieder hinunterzuklettern- bewies, dass sie alles für mich tun würde.“
Oder sollen sie wütend sein, dass die Mutter ihre Kinder einfach bei Fremden zurücklässt und verschwindet? Beide versuchen, das Geschehene auf ihre Art zu verarbeiten: Jennie passt sich schnell der neuen Umgebung an, ist freundlich und zuvorkommend. Maggie hingegen schottet sich ab. Sie gehen schweigend darüber hinweg, als die Mutter sich nicht mal mehr an ihren Geburtstagen meldet. Was ist der Grund für das unverständliche Verhalten der Mutter? Maggie macht sich auf den Weg. Wird sie ihre Mutter wiederfinden? Frances Greenslades Erstlingsroman spielt in den 1960/70er Jahren in Kanada: Eindrucksvoll sind auch ihre Beschreibungen der kanadischen Natur, der Heimat Maggies und Jennies: „Hier auf dem Berg, inmitten von Sonnenschein, Vogelgezwitscher, dem Duft nach Kanadischem Lauch und Kiefern und einem Meer von Blumen, war ich in einer Welt, die ich kannte und verstand“. (AF)
„Der Duft des Regens“ ist am 15. Juli 2012 im mareverlag erschienen.
ISBN 978-3-86648-176-3
19,90 Euro, gebundene Ausgabe