Freunde fürs Leben?
Buchtipp: Stephanie Gleißner, „Einen solchen Himmel im Kopf“
„[…] Ich drehte mich zu Johanna um, erwarte ihr Schmunzeln, wie früher, doch sie schaut nicht hoch, sagt über die Schublade gebeugt: „Auf Wiedersehen, Frau Murr.“ Ich stehe auf der Straße wie nach einem Unfall. […]“
Die Teenager Annemut und Johanna sind beste Freundinnen. Sie leben im Hinterland, sind gut in der Schule, Außenseiterinnen und werden – wie alle anderen auch – kritisch von den Alten beobachtet. Gemeinsam träumen sie davon, später aus dieser spießigen Umgebung, in denen der Besuch des Vorwerkvertreters ein Highlight ist, auszubrechen. Nach einigen Jahren kehrt die studierte Annemut zu Besuch ins Hinterland zurück. Ihre ehemals beste Freundin Johanna trifft sie am Schreibtisch der örtlichen Krankenkasse an, neben sich Pausenbrot und Thermoskanne. Sie spricht Annemut einsilbig mit „Frau Murr“ an. Was ist aus Johanna geworden, fragt sich Annemut entsetzt. Doch statt Erklärungen zu finden, drängt sich Annemut eine andere Frage auf: Was ist aus mir geworden?
Als Annemut zu Johanna ins Gartenhäuschen derer Eltern zieht, ist die Welt noch in Ordnung: Annemut bewundert ihre Freundin, die in der Schule ihre Meinung sagt, sich selbstbewusst von den anderen absondert und schön ist. Während Annemut an den Nachmittagen im Gartenhaus Modezeitschriften blättert, beschäftigt sich ihre Freundin mit Heiligenbildern. Die Freundinnen streifen in der Natur umher, entdecken im Wald Wasserfälle und ein Naturbassin, in dem sie baden. Als sie eines Tages Frau Luger, Johannas Mutter, aus der Pension Malinowski kommen sehen und feststellen müssen, dass diese ein Verhältnis mit dem Vorwerkvertreter hat, bekommt ihre Beziehung die ersten Risse. „Frau Luger hatte versagt. Auch ich würde Johanna enttäuschen. Diese Enttäuschung war vorgesehen […]. Ich wusste auf einmal, dass wir nicht immer befreundet sein würden.“ Annemut beschließt, in den Ferien Zeitungen auszutragen, um Geld für ihre Zukunft zu sparen. Johanna hängt sich dran, bemüht, mit ihrer Freundin Schritt zu halten. Doch in der Disco in der Stadt, in die die beiden an den Wochenenden heimlich fahren, geht Annemut mit einem Jungen mit – und lässt Johanna allein zurück. Die Verhaltensmuster ihrer Jugend wiederholen sich in Annemuts späterem Leben; und auch die Heiligen verfolgen sie; in Form einer Madonnenprozession in Messina, der sie sich entgegenstellt, oder als eine Art Heilige in einer Absteige in Rom in Form einer wütenden Frau im Negligé, die ihren Liebhaber davon abhält, Annemut zu vergewaltigen. Auch die Art, wie Annemut mit Freundschaften umgeht, wiederholt sich in beängstigender Weise und wirft eine weitere Frage auf: Was bedeutet Freundschaft für die rücksichtslose und egoistische Annemut?
„‚Die Annemut und ich, wir sind ja auch Freunde, stimmt’s, Annemut?‘ Ich antworte nicht.“
Die Autorin Stephanie Gleißner verwebt verschiedene Phasen aus Annemuts Leben mit ihrem jetzigen und beschreibt kritisch das Leben in der Provinz und deren Bewohner – auch wenn Annemut selbst wohl nicht ahnt, warum ihre ehemalige Freundin ihr gegenüber wie eine Fremde reagiert, wird dieses dem Leser im Laufe des Romans immer verständlicher.
Stephanie Gleißner wurde 1983 in Garmisch-Partenkirchen geboren und lebt in Berlin. (AF)
Das Buch ist im Juli im Aufbau Verlag erschienen.
ISBN 978-3-351-03506-8
16,99 Euro