Senatoren im Kugelhagel der Revolution
Gruppenbild mit Senatoren
„Das Bild kenne ich doch“, sagt sich der Hamburger, der sein Rathaus besucht. Stimmt: Jedes Mal, wenn der Senat der Hansestadt Hamburg neu zusammengestellt wird, posiert man genau vor diesem Gemälde. Das riesige 4,70 mal 2,90 Meter große Gruppenbild der Senatoren in ihren altertümlichen Gewändern zieht den Besucher beim Betreten des Bürgermeistersaales sofort in seinen Bann. Die Atmosphäre in diesem Raum des Rathauses ist sehr gediegen und auf hanseatische Art prunkvoll. Kostbares Mahagoniholz wurde hier für die Kassettendecke, die halbhohe Wandverkleidung und die Türen verwendet. Das polierte Holz schimmert mit den Marmoreinfassungen um die Wette. Über dem hellroten Spannteppich breitet sich ein kostbarer Teppich in olivgrünen Tönen aus. Sechs in weißem Marmor gearbeitete Büsten einiger Bürgermeister des 19. Jahrhunderts grüßen den Besucher. Neben der Tür zum Turmsaal steht die Büste von Bürgermeister Nicolaus Ferdinand Haller (1805–1876). Bekannter ist allerdings sein Sohn, Martin Haller (1835–1925), der berühmte Rathaus-Architekt! Die Muse der Geschichte, Klio, blickt freundlich vom Kaminsims auf die Gäste herab. Sie ist sehr beschäftigt mit den Einträgen verdienter Hamburger in das Buch der Geschichte, damit diese nicht vergessen werden. Die Inschrift im Hintergrund „Denn wer den Besten seiner Zeit genug getan, der hat gelebt für alle Zeiten“(Schiller, „Prolog zu Wallensteins Lager“) weist in die gleiche Richtung. Dieses Zitat erwähnte auch Alt-Bürgermeister Henning Voscherau in seiner Trauerrede für Hannelore (Loki) Schmidt am 1. November 2010. „Der Einzug der Senatoren in das neue Rathaus 1897“ von Professor Hugo Vogel gemalt, zeigt die große Gruppe der Senatoren und Syndizi beim Betreten des neuen Rathauses. Alle tragen die damalige Amtstracht mit der Halskrause. Dieses kostbare Kleidungsstück hatte sich aus der spanischen Bürgertracht entwickelt und wirkte ausgesprochen würdevoll. Es hob den hohen Stand des Trägers hervor. Bis 1918 trugen die Hamburger Ratsmitglieder (Senatoren) und Syndizi (Staatsräte) diese Kleidung und litten teilweise arg unter der Last: Jedes Kostüm wog circa 30 bis 40 Kilo! Die ausladenden Halskrausen verdanken wir ebenfalls den Spaniern, die im 16. Jahrhundert politisch und wirtschaftlich einflussreich waren und so auch die Mode in Europa beeinflussten. Der „Hamburger Ornat“ wird heute noch verbindlich von den Pastorinnen und Pastoren in den Innenstadtkirchen getragen. Er besteht aus zwei Teilen. Der „Unterhabit“ wird vorn durchgeknöpft mit 17 Knöpfen, die an die Zehn Gebote und die sieben Bitten des Vaterunsers erinnern. Der „Oberhabit“ ist aus dem vorne offenen Renaissance-Mantel entstanden und entspricht der spanischen Tracht, die die Senatoren in den Hansestädten trugen. Während der Restaurierungsarbeiten sorgte das Bild in diesem Sommer für eine Sensation! Der Bürgermeistersaal wurde während der Sommerferien komplett überarbeitet. Neben den Gemälden wurden auch die Wände, der Marmor und die Holzmöbel auf Hochglanz gebracht. Besondere Sorgfalt widmete man Hugo Vogels Bild der Senatoren. Dabei entdeckte eine Restauratorin ein Einschussloch im Bild! Während der Novemberrevolution 1918 wurde das Rathaus von wütenden Bürgern gestürmt. Dabei wurde das Gemälde von einer Gewehrkugel getroffen.
Die eigentliche Sensation aber war ein handgeschriebener Zettel des Künstlers in Sütterlin, der jetzt entziffert wurde: „Dieses Bild wurde bei den Unruhen der Revolution 1918 in den Tagen 18. bis 20. November beschädigt durch Schüsse – Februar 1927 von mir wiederhergestellt.“ Das Gemälde wurde vor 15 Jahren schon einmal restauriert – damals ließ man den Zettel einfach dort. Offensichtlich war das Interesse an den Wirren der Revolution eher gering. Auch in der Ledertapete wurde ein Einschussloch entdeckt. Diese kostbare, gepunzte Ledertapete wurde von Georg Hulbe (1851–1917) angefertigt. Hulbe war ein in ganz Deutschland bekannter und hoch geschätzter Leder-Kunsthandwerker. 1895 fertigte er alle Lederstühle und Ledertapeten im Berliner Reichstag an, und zwei Jahre später erhielt seine Werkstatt den Auftrag, alle Lederarbeiten für das neue Hamburger Rathaus auszuführen. Zur Einweihung fertigte Hulbe im Auftrag der Familie Petersen auch das goldene Buch der Stadt an. Über dieses besondere Buch berichten wir noch an anderer Stelle.
1910 zog Hulbe mit seiner Werkstatt von St. Georg in das von ihm gebaute „Hulbe Haus“ in der Mönckebergstraße 21.
Eine von Hulbes ganz besonderen Fähigkeiten war die Punzierung und Prägung von Leder. Als das Hamburger Rathaus Mitte der 1990er Jahre im Zusammenhang mit seinem 100-jährigen Bestehen innen und außen restauriert wurde, konnten die Ledertapeten und Ledersessel mit Hulbes Originalwerkzeugen bearbeitet werden, denn diese sind heute im Besitz der ältesten Lederpunzerwerkstatt Deutschlands in Hamburg.
(Ulrike Lorenzen)