Mingalabar – aus einer anderen Welt

Einsiedler auf dem Weg zum Felsen
Einsiedler auf dem Weg zum Felsen
Eine Redakteurin der HafenCity Zeitung in Myanmar                

Häfen der Welt – das war eigentlich mein Arbeitstitel, als ich mich entschied, beruflich eine Zeit lang in Yangon zu arbeiten und meine Tätigkeit als Kultur-Redakteurin der HafenCity Zeitung durch Auslandskorrespondenz kurzfristig einzutauschen. Yangon ist die ehemalige Hauptstadt von Myanmar (Birma), in Südostasien gelegen. Yangon hat über fünf Millionen Einwohner, das Leben spielt sich auf der Straße ab, und vor allem um die vielen Pagoden, die Mittelpunkt der buddhistischen Feste sind. Seit ich hier bin, gab es bereits zwei Feiertage – und es wird viel gefeiert. Nach dem Vollmondfest reise ich nach Kyaiktiyo, um den Goldenen Felsen zu besuchen: Dieser liegt in 1.100 Metern Höhe auf der Klippe eines Berges in den Bergdschungeln des Mon-Staates. Der goldene Felsen sieht aus, als würde er jede Minute in die Tiefe stürzen – was er seit hunderten von Jahren aber nicht tut – sein Gleichgewicht dankt er einem Haar Buddhas, das in der Stupa eingeschlossen ist. Kyaiktiyo ist dieses Wochenende das Ziel von tausenden Pilgern, fast alle aus Myanmar, einige kommen aus Thailand und eine aus der HafenCity.

Das Haar Buddhas hält
Das Haar Buddhas hält
Nach vierstündiger Autofahrt von Yangon stoppt der Fahrer am Fuße des Gebirges – von hier aus dürfen wir, das sind mein weiblicher Guide Sa Sa und ich, nicht mehr mit dem Auto weiterfahren – ab hier beginnt das Abenteuer. Es ist Samstagmittag, 13 Uhr, 40 Grad im Schatten. Sa Sa schafft es, einen Truckfahrer zu überzeugen, dass ich nicht hinten auf der Ladefläche mit 50 anderen burmesischen Pilgern sitzen muss, sondern als ungeübte mit im Fahrerhäuschen Platz nehmen darf. Das ist sicherlich bequemer und vor allem sicherer, als hinten zu sitzen oder gar zu stehen – die Burmesen sehen das gelassen. Sa Sa versichert mir, dass alles gut sei, sie sitze hinten, sie ist das gewohnt, ich sitze vorne zwischen fünf burmesischen Herren im Fahrerhäuschen – Verständigung gleich null. „Mingalabar“, sage ich. „Mingalabar“, antworten die Herren. Damit hat sich mein Wortschatz fast erschöpft. „Wie geht es dir?“ und „Was kostet das?“ kann ich zwar auch, passt aber gerade nicht.

Abenteuer Truckfahren
Abenteuer Truckfahren
Der Truck windet sich die schmale Straße hoch – andere Trucks, die in die entgegengesetzte Richtung fahren, müssen oben warten, bis wir am Ziel angekommen sind. Der Ausblick ist gewaltig – grüner Dschungel und Berge um uns herum. Nach einer mir unerfindlichen 20-minütigen Pause im Nirgendwo geht es dann weiter, die nächste Etappe wird genommen. Und endlich sind wir da. Jedenfalls fast. Wir halten – steigen aus – und jetzt wird es richtig interessant. Der Rest des Berges muss zu Fuß erklommen werden. „Nur 30 Minuten“, sagt Sa Sa. 30 Minuten in 40-Grad-Hitze, einen Berg vor sich und 15 Kilpgramm Gepäck neben mir stehen, können lang werden. Das Gepäckproblem ist schnell gelöst. Eine Trägerin bietet sich an, schwingt meine Reisetasche auf ihren Kopf und wandert los. Ich bin sprachlos. Wir machen uns auf den Weg und mit uns Träger mit Sänfte, einschätzend, wie wir wohl die Wanderung bewerkstelligen – und sicher, dass wir auch auf ihre Dienste zurückgreifen werden. Nach der zweiten Kurve kapituliere ich. Sa Sa, genauso schwitzend und erschöpft, erklärt mir, sie wandere weiter und wir träfen uns oben auf dem Berg. Ich erkläre, dass wir entweder beide eine Sänfte nehmen oder gemeinschaftlich am Weg liegenbleiben. Wir klettern auf unsere Sänften, und der Tross mit Gepäckträgerin, acht Trägern und zwei erschöpften Pilgerinnen kann weiterziehen. Dekadent, sagt eine Stimme in mir. Du unterstützt die Leute, das ist ihre Arbeit, sagt die andere Stimme. Alle paar Meter ziehe ich mein Tuch tiefer in die Stirn und drücke die Sonnenbrille fester auf die Nase – wir sind ein beliebtes Fotomotiv für die Pilger, die zu Fuß marschieren.

Glücksglocken werden befestigt
Glücksglocken werden befestigt
Oben angekommen, beziehen wir unsere Zimmer. Sehr basic: Bett, Waschbecken, Toilette und ein Wasserhahn, der knapp neben dem Klo angebracht ist und als Dusche herhalten soll. Am Fenster sehe ich einen riesigen Schmetterling – doch während ich meine Kamera auspacke, wird er auch von einem Vogel gesehen – das war es dann mit dem Fotomotiv. Sa Sa und ich machen uns auf den Weg zum Goldenen Felsen. Wie bei allen heiligen Stätten müssen die Schuhe ausgezogen werden; das Gelände wird barfuß betreten. Tausende Pilger sind bereits angekommen, sitzen mit ihren Familien und Nachbarn auf dem Boden, packen ihr Picknick aus, die Kinder haben Spielzeug dabei. Religion ist hier etwas Lebendiges. Hier muss es nicht still sein. Heute wird beim Goldenen Felsen übernachtet – man kann sich Matten und Decken ausleihen. Die Sonne geht unter. Gongs ertönen, ebenso tiefe Glockenschläge. Mönche und Pilger knien andächtig vorm Felsen, bekleben ihn mit Goldblättchen und beten. Es ist eine sehr feierliche Stimmung.
Wir machen uns irgendwann auf den Rückweg. Vor unserem ausgebuchten Hotel steht eine Reisegruppe aus 50 Thailändern – die drei Hotels, die es hier gibt, sind natürlich voll. Mönche klären die Situation: Heute Nacht muss hier keiner mehr  den Rückweg durchs Gebirge antreten.

Pilgerer
Pilgerer
Mein Zimmer, jetzt in Neonlicht eingetaucht, habe ich leider doch nicht für mich allein: Im „Bad“ ist eine Ameisenstraße, Käfer krabbeln auf dem Nachttisch, eine dicke Spinne kämpft mit einer Motte, zwei weitere kreisen um die Neonröhre. Ein grauer Schatten huscht an der Wand entlang. Ruhig bleiben – da musst du jetzt durch, sage ich laut vor mich her. Die Spinne versuche ich zu erschlagen, vor Schreck lässt sie die Motte los, die zwischenzeitlich ihren Geist aufgegeben hat. Ich lege mich aufs Bett. Ruhig bleiben – da musst du jetzt durch. Ich mache das Licht aus. Der graue Schatten kommt wieder und bewegt sich. Es gesellen sich weitere dazu. Lizzards. Lizzards sind Echsen, die kopfüber die Wände langkrabbeln und Beute auf Mücken machen. Hier scheint es viele Mücken zu geben, habe ich nun bereits sechs Lizzards gezählt, die über meinem  Bett an der Decke hin- und herlaufen. Außerdem quieken sie. Ich beschließe, mich nicht auszuziehen, um im Falle weiterer unerwarteter Gäste die Flucht ergreifen zu können. An Schlaf ist hier nicht zu denken. Ruhig bleiben. Da musst du jetzt durch. Über die nächste Brückenspinne in meiner Wohnung in der HafenCity werde ich nur noch ein müdes Lächeln übrig haben.

Verschnaufpause am Wegesrand
Verschnaufpause am Wegesrand
Um 4:30 Uhr in der Nacht werden Lautsprecherdurchsagen gemacht – die Pilger, die nicht auf dem Plateau am Fels übernachtet haben, machen sich wieder auf den Weg. Ich stehe um 5 Uhr auf, setze mich draußen auf einen Plastikstuhl und warte auf die Sonne.  Sa Sa sagt mir beim Frühstück, dass ein quiekender Lizzard Glück bringt. Da bin ich heute ein richtiges Glückskind! Vielleicht sollte ich einen mit nach Hause nehmen, wenn ich den Dschungel wieder verlasse. Und vielleicht folgt im nächsten Teil der Bericht über den Hafen in Yangon. (AF)