Safety Check oder: Was wäre, wenn …
Gedanken während einer Rettungsübung an Bord
Wer schon einmal auf Kreuzfahrt war und jetzt die schrecklichen Bilder vom Schiffsunglück der Costa Concordia vor Giglio sieht, der macht sich im Nachhinein Gedanken, wie die eigene Rettungsübung an Bord eines Kreuzfahrers ablief. Laut internationalen Bestimmungen muss innerhalb von 24 Stunden nach Einchecken der Passagiere eine Rettungsübung abgehalten werden.
Ich war vor zwei Jahren auf einem ähnlich großen Kreuzfahrtriesen wie die Costa Concordia mit fast 4.000 Passagieren und 1.500 Besatzungsmitgliedern unterwegs und hatte mir seinerzeit schon Gedanken gemacht: „Was wäre, wenn …“ Eine halbe Kleinstadt in Seenot, nicht auszudenken. Als Seglerin ist der Respekt vor Wasser und Wasserdruck quasi angeboren, mit einem Ingenieur an der Seite der Respekt vor Maschinen noch viel größer. Nun scheint sich herauszustellen, dass menschliches Versagen zu dem furchtbaren Unfall geführt hat – nicht die Natur oder ein Maschinenausfall.
Dass ein Kreuzfahrtriese Grundberührung hat, ist undenkbar, zumal im Mittelmeer fast alle Strecken er- und befahren sind. Diese Gedanken gehen mir durch den Kopf, als vor Beginn der Kreuzfahrt noch vor dem ersten Ablegen in Genua die Durchsage zum Safety Check kommt. Vorgewarnt ist man ja, denn auf dem Tisch liegt obenauf als erster Termin: 17 Uhr: Anleitung, wo in der Kabine die Schwimmwesten verstaut sind, wie die Rettungswege verlaufen und wo für diese Kabine der Sammelpunkt ist. Es sind noch nicht einmal die Koffer ausgepackt, da schnappen wir uns wieder unsere Bordkarten, holen die Schwimmwesten aus dem Schrank. Es kommt die angekündigte Durchsage, dass dies kein Ernstfall, sondern lediglich eine Übung sei und es in 15 Minuten nach dem zweimaligen Signalton – siebenmal kurz, einmal lang –, der auf dem gesamten Schiff inklusive Kabinen und Toiletten erschallt, losgeht.
Schon an den Kabinentüren haben sich Besatzungsmitglieder mit Leuchtwesten und großen Schildern in der Hand aufgereiht und weisen den Weg hinunter zu den Treppen in Richtung Sammelpunkt. Hier werden mit der Bordkarte die Namen abgeglichen, um zu sehen, ob alle Kabinen leer sind. Erst jetzt wird gezeigt, wie die Schwimmwesten anzulegen sind, denn es ergibt keinen Sinn, mit angezogener Schwimmweste wie ein Michelin-Männchen unbeweglich zu werden. Mit ebenfalls großen Schildern weist die Besatzung den Weg zu den Rettungsbooten. Nun ist dies nur eine Übung und alles ganz ruhig und locker, ich fotografiere und bin entspannt – weiß ich uns doch im Hafen.
Im Hinterkopf schleicht sich aber doch ein Gedanke ein: Was wäre, wenn Du bei Schräglage die meterlangen Gänge laufen musst, dann ist der Boden schief, die Handläufe in Kopfhöhe oder als Stolperfalle, offene Kabinentüren sind zu überqueren, aus den Kabinen rutscht Dir Material entgegen. Und dann vielleicht nur Notbeleuchtung und drumherum viele weitere ängstliche Menschen, dazu das permanente Notsignal aus den Lautsprechern. Wie soll man da ruhig bleiben und seinen Sammelpunkt finden? Wie die Treppen heruntersteigen (die Rettungsboote sind immer möglichst nah an der Wasseroberfläche, also treppab), wenn die Stufen schief sind und man quasi die Wände mitbenutzen muss ohne Handlauf? Als Seglerin ist man schiefe Fußböden und Wände gewohnt, die Treppen sind für sicheren Stand fast halbrund und trotzdem hält man sich mit ausgebreiteten Armen irgendwo fest. Wie das auf einem Kreuzfahrer mit 2 Meter breiten Gängen und 6 Meter breiten Treppen? Die Treppenhäuser sind als Fluchtwege so breit ausgelegt, aber sie schwingen nicht mit, drängen die Menschen in die Schräglage.
Die Szenerie in den Restaurants mag ich gar nicht zu Ende denken: Wie in Filmen rutschen Tische und Stühle, Geschirr, Lebensmittel, Deko, Musikinstrumente an eine Seite. Gnade denjenigen, die sich dort aufhalten. Sie müssten sofort aufspringen und in ihre Kabine gegen den Strom rennen, um ihre Schwimmwesten zu holen, obwohl bei unserer Übung erklärt wurde, dass genug Westen auch draußen zur Verfügung stünden.
Zum großen Glück konnten die vielen tausend Menschen von der Costa Concordia gerettet werden, nur wenige Tote sind zu beklagen. Wenn man sich überlegt, dass über 5.000 (!) Menschen in wenigen Stunden an Land gebracht wurden, dann gehört trotz aller negativen Berichte über Chaos und Besatzungsunvermögen meine Hochachtung den Rettungskräften.