Von der Männerriege zur Gleichberechtigung
Die Ratsstube
Es ist Dienstagmorgen etwa 10.45 Uhr. Nach und nach betreten die Senatoren und Staatsräte die Ratsstube. In der Geschäftsordnung des Senats der Freien und Hansestadt Hamburg vom 29. November 2011 sind die regelmäßigen Sitzungen sehr genau geregelt. Die Sitzungen müssen immer dienstags um 11 Uhr in der Ratsstube des Hamburger Rathauses stattfinden. Wenn nötig kann auch am Freitag ein Treffen stattfinden. Vom hellen, lichtdurchfluteten Senatstreppenhaus tritt man in das Senatsgehege. Dieser Bereich wird durch ein prächtiges Bronzegitter vor unbefugten Eindringlingen geschützt. Vorbei an den Statuen der „Gerechtigkeit“ und der „Gnade“ geht es direkt in die ehrwürdige Ratsstube. Ein bescheidener Name für den traditionsreichen Raum, in dem die Hamburger Landesregierung, der Senat, tagt. „Fac et spera“ – „Handle und hoffe“ steht aufmunternd über dem zweiflügeligen Eingangsportal. In den dunklen Doppeltüren finden sich Symbole der Macht: Waage und Schwert, Liktorenbündel und Stadtwappen. Das Türportal wird von Eichensäulen getragen, die mit dem Zeichen der gemeinsamen Regierung von Bürgerschaft und Senat, „SPQH“ verziert sind. Der Raum strahlt feierliche Würde aus. Hier wird konzentriert gearbeitet! Es gibt keine Fenster, die einzige natürliche Lichtquelle ist das große Oberlicht, durch das Tageslicht strömen kann. Beim Bau des Rathauses wurde extra für einen acht Meter hohen Lichtschacht gesorgt. Aber es ging nicht nur um den Lichteinfall! Die Tradition besagt, dass über dem Senat nur der Himmel sein darf. Nach alter, germanischer Rechtsauffassung darf „ein freier Mann nur unter freiem Himmel gerichtet werden.“ Bis ins Jahr 1860 hatte der Senat die oberste richterliche Gewalt inne: Legislative und Executive in einer Hand! Unter heutigem demokratischem Verständnis unvorstellbar! Gute Ratschläge gibt es an den Eckpfeilern des Raumes: „Carpe diem: Nutze den Tag!“, Viribus unitis: Mit vereinten Kräften!“, „Parta tueri: Das Erworbene bewahren!“.
Man sitzt am durchgehenden, hufeisenförmigen Tisch in genau festgelegter Sitzordnung. Der erste Bürgermeister und die zweite Bürgermeisterin sitzen an der Stirnseite unter einem Holzbaldachin. Hinter den Bürgermeistersesseln, die ein bisschen größer als die anderen Sessel sind, hängt ein kunstvoll gestickter 2,60 m hoher und 1,90 m breiter Wandbehang, der die Unterschrift trägt: „Gestiftet von Hamburgs Frauen 1897“. Dieser Wandbehang und sein Gegenstück im Plenarsaal wurden im Auftrag von Damen der Hamburger Gesellschaft bei der Kunstschule von Valeska Röver in Auftrag gegeben und dann dem Rathaus zur Eröffnung geschenkt. So hatten Frauen, die zur damaligen Zeit gar keine politischen Rechte hatten, Zugang in das Allerheiligste dieser Männerdomäne gefunden! Seit 1216 gibt es den Rat, der früher als „hochedler und hochweiser Rath“ bezeichnet wurde. Man wurde höchstförmlich angesprochen: „Seine Magnifizienz“ die Bürgermeister, „Seine Hochweisheit“ die Senatoren und „Seine Wohlweisheit“ die Syndici. Selbstverständlich waren alle Senatoren Kaufleute aus altem Hamburger Patriziergeschlecht. Sie hießen z.B. Hudtwalcker, Sieveking oder Amsinck und verblieben auf Lebenszeit im Amt. Erst mit Max Brauer kam Paula Karpinski 1946 als erste Senatorin ins Amt. Eine bemerkenswerte Frau! SPD Mitglied seit 1914, während der NS Zeit wegen ihrer politischen Gesinnung mehrfach inhaftiert und die bundesweit erste Frau in einem Landeskabinett. Sie wurde 107 Jahre alt. Als Jugendsenatorin engagierte sie sich besonders für die Schaffung neuer Betreuungseinrichtungen. Ihr verdanken wir die Jugendherberge auf dem Stintfang, deren Vorplatz jetzt nach ihr benannt ist. Hier sollte ursprünglich ein Hotel errichtet werden. Erstmals unter Bürgermeister Runde gab es gleichviele Männer wie Frauen im Senat. Dies ist auch heute im Scholz´schen Senat der Fall. Aber zurück zur Senatssitzung. Mittlerweile ist es 11.15 Uhr, die Sitzung hat hinter fest verschlossenen Türen begonnen. Wie in der Geschäftsordnung bestimmt, sind alle Senatoren anwesend, die in Hamburg weilen. Die Fehlenden haben sich unter Angabe der Gründe beim ersten Bürgermeister entschuldigt.
Auch die Staaträte, die Leitung der Pressestelle des Senats und zwei Protokollführer nehmen an der Sitzung teil. Die Staatsräte gehören zwar nicht offiziell zur Regierung sie nehmen aber an den Sitzungen teil, ohne Stimmrecht zu haben. Ihre wichtigste Aufgabe ist es, den Senatoren beratend zur Seite zu stehen. Sie haben ein profundes Fachwissen und unterstehen direkt ihrem Senator, den sie innerhalb der Behörde vertreten. Ein sehr hohes Maß an Übereinstimmung ist hier nötig, darum können die Staatsräte auch ohne Angabe von Gründen sofort in den Ruhestand versetzt werden. Während der Sitzung darf niemand den Raum betreten. Selbst die Ratsdiener dürfen die Teilnehmer nicht mit Getränken versorgen. Wenn wirklich einmal wichtige Nachrichten übermittelt werden müssen, leuchtet beim ersten Protokollführer ein rotes Lämpchen auf! Senatssitzungen finden das ganze Jahr hindurch statt. Hier gibt es keine Sommerpause! Aber auch ein Bürgermeister muss mal Urlaub machen und sich von den anstrengenden Amtsgeschäften erholen. Und was geschieht, wenn auch die Zweite Bürgermeisterin verreist ist? Für diese Fälle gibt es das Anciennitätsprinzip (Rangfolge nach Dienstalter). Die Möglichkeit der Amtsvakanz ist nicht vorgesehen. Sind also beide Bürgermeister verreist, übernimmt der dienstälteste Senator die Geschäfte und die Leitung der Sitzungen. So ist Hamburg zu keiner Zeit führungslos. (UL)
Vorschläge für die Einschübe:
Ein freier Mann darf nur unterfreiem Himmel gerichtet werden
Frauen in der Ratsstube
Paritätische Verteilung im Senat
Das schwere Amt des Staatsrats
Während der Sitzung darf niemand die Ratsstube betreten!