Meinungsbildung in Zeiten des Shitstorms
Die sozialen Medien zu beobachten, ist schon interessant. Man kann sich auf das Schöne im Leben konzentrieren, sich mit anderen freuen, konstruktiv informieren und Meinungen bilden, Meinungen beeinflussen und natürlich auch sein Missfallen bekunden. Für Letzteres werden aber bewusst die Hürden etwas höher gesetzt. Im weltweit erfolgreichsten Netzwerk, Facebook, gibt es einen „Gefällt-mir-Button“, das Gegenteil, „Gefällt mir nicht“, ist aber nicht existent.
Seit Langem wird allzu leicht in der Öffentlichkeit gefordert, diesen Button einzuführen, zuletzt im letzten Jahr im Zusammenhang mit dem Überhandnehmen von rechter Hetzpropaganda – in einem Atemzug mit der Forderung der Löschung von Kommentaren gleicher Färbung. Bei eindeutig strafbaren Inhalten scheint die Sachlage klar, doch schon die Grauzone ist gewaltig. Mal eben alles, was dem jeweiligen Betreiber einer Plattform – sei es in sozialen Netzen oder bei Zeitungskommentaren – nicht in den Kram passt, löschen ist schnell gefordert, ist aber in letzter Konsequenz Zensur. Und es ist ja beileibe nicht so, dass mit dem Löschen einer geäußerten Meinung gleich die Haltung im Kopf desjenigen gelöscht würde, der sich dort aller Hemmungen entledigt hatte und sich outete.
Es gibt Untersuchungen, nach denen mehr als 90 Prozent der Internetnutzer ausschließlich konsumieren, neun Prozent sich immerhin teilaktiv und nur ein winziger Rest tatsächlich aktiv äußert. Dabei liegt es in der Natur des Menschen, das Negative eher zum Ausdruck zu bringen als das Positive. Ein „Gefällt mir“ statt eines „Gefällt mir nicht“ schiebt dabei dem Negativen einen Riegel vor und setzt die Hürden höher, um allzu einfache Trollerei zu verhindern. Im Sinne der Statistik kann man also davon ausgehen, wie bei einem Eisberg, dass hinter jeder Unmutsäußerung eine ganze Reihe stummer Mitläufer stehen. Wenn also in sozialen Medien gegen Flüchtlinge gehetzt wird – und fast im gleichen Atemzug gegen die vielen stinkenden Schiffe – gibt es bestimmt noch mehr, die der gleichen Meinung sind. Dabei stellt sich unwillkürlich die Frage, ob die Kombattanten nicht generell im falschen Stadtteil gelandet sind, möglicherweise sogar im falschen Land. Und man könnte sich fast einen „Gefällt-mir-nicht-Button“ wünschen. Doch das reine „Gefällt mir“ gefällt mir da besser, ermöglicht es doch zumindest den Anschein eines zivilisierten Umgangs miteinander. Sie können uns mal auf Facebook besuchen!
Viel Vergnügen beim Lesen! Ihr Michael Baden