Memoiren eines Stadtteils
Gastbeitrag von Özlem Winkler-Özkan – Leiterin des PEM Theaters an den Elbbrücken und Kulturschaffende im „Arbeiterviertel fernab aller Großstadthektik“
Rothenburgsort war ein bislang vergessener Stadtteil. Seit kurzer Zeit wird der Stadtteil von Bau- und Immobilienunternehmen sowie der Stadt in bunten Magazinen als Sahnestück Hamburgs gepriesen. Das vom Senat, den wohnungswirtschaftlichen Verbänden und den städtischen Wohnungsbaugesellschaften SAGA/GWG gegründete Bündnis für Wohnen, zieht nun wegen des Mangels an Wohnungsbauflächen, die Bezirke rund um die Hamburger Innenstadt vermehrt in Betracht. Aus dieser Entwicklung entstand das Bündnis für Quartiere. Ziel: ganzheitliche Stadtteilentwicklung durch Aufstockung des Viertels mit seinen derzeit nur 9.138 Bewohnern. Doch, trotz glänzender Planungs-Prospekte, bleibt Rothenburgsort in den Augen der Hamburger ein problematisches Viertel – ohne weiterführende Schulen und Fachärzte.
Um die Gegenwart des Ortes zu verstehen, muss man seine Geschichte begreifen. Am 27. Juli 1943 brachen britische Flugzeuge auf, um die Zerstörung des mittelenglischen Coventry zu rächen. Als Ergebnis des Angriffs standen 250.000 Quadratmeter von Hamburgs Wohngebieten in Flammen. Wegen der seltenen Wetterlage, entstand ein atmosphärischer Kamin über Rothenburgsort und Hammerbrook, der den Menschen keine Chance zum Entkommen ließ. Unter dem Codenamen „Operation Gomorrha“ starben 35.000 Menschen im Feuersturm. Ein weiteres Desaster mussten die Bewohner 1962 durch die schlimmste Flutkatastrophe seit Menschengedenken über sich ergehen lassen. Bis heute trägt der Stadtteil – trotz seiner vielen Grünflächen und der gemeinhin sehr begehrten Wassernähe –
seinen verqueren Ruf als „Problemviertel“.
Liegt es an der Scham und der Trauer über den Verlust der wunderschönen Flaniermeile, die Rothenburgsort einmal war? Trotz der Tatsache, dass sich hier die Halbinsel Kaltehofe befindet, ein Naherholungsgebiet, mit hochwertigen Radwegen, gerade mal sechs Kilometer vom Stadtzentrum entfernt, ist dieser Ort nie ein Geheimtipp geworden. Nicht einmal der 16 Hektar große Entenwerder Elbpark mit dem traditionsreichen Entenwerder Fährhaus ist über die Grenzen des eigenen Stadtteils hinaus bekannt.
Der aus dem Bewusstsein der Stadt verdrängte Osten hat aber nicht nur ein pragmatisches Stadtteilentwicklungskonzept verdient. Nach viel Kritik soll nun ein verbessertes Handlungskonzept unter Einbindung der Wünsche und Vorschläge der Bewohner vorgestellt werden. Der Aufschwung scheint nach Meinung der Planer unausweichlich. Doch um dies zu erreichen, müssen nicht nur die erlebten Katastrophen als Teil der Geschichte verarbeitet werden, sondern auch der Rückbau der Autobahnauffahrt zur attraktiven Wohngegend mit sozialen Treffpunkten erfolgen. Alle Akteure müssen darauf hinarbeiten, mit kreativen und innovativen Prozessen eine ganzheitliche Städteplanung zu entwickeln. Damit die Hamburger Rothenburgsort wieder in ihr Herz schließen können.