Weiter im Takt
Alan Gilbert kam als Gast und bleibt als Chef
Alan Gilbert wird ab der Spielzeit 2019/20 neuer Chefdirigent des NDR Elbphilharmonie Orchesters. Er tritt die Nachfolge von Thomas Hengelbrock an. Diese Personalie, die der Norddeutsche Rundfunk Ende Juni bekannt gab, war für den ein oder anderen Kenner der Klassik-Szene vielleicht keine Überraschung, denn Gilbert kennt das NDR Elbphilharmonie Orchester aus unzähligen Kooperationen, von 2004 bis 2015 wirkte er immer wieder dort als Erster Gastdirigent. Dass Thomas Hengelbrock den Taktstock nach seinem erfolgreichen Auftakt in Hamburgs neuem Konzerthaus abgibt, kann jedoch schon als Überraschung gewertet werden.
Als Grund gibt NDR Intendant Lutz Marmor an, dass es Hengelbrock zu anderen künstlerischen Herausforderungen ziehe, immerhin sei er auch bei anderen Projekten aktiv, wie mit seinem Balthasar-Neumann-Chor in Freiburg oder als „Chef associe“ beim Orchestre de Paris.
Thomas Hengelbrock selbst hat sich bisher zu seinen Rücktrittsgründen nicht geäußert und war auch bei der offiziellen Vorstellung seines Nachfolgers in der Elbphilharmonie nicht anwesend. Und so ist es reine Mutmaßung anzunehmen, dass es etwaige Unstimmigkeiten, künstlerisch oder menschlich, gegeben hätte. Bis Ende der Spielzeit 2019 bleibt der heute 59-jährige Hengelbrock aber noch Chefdirigent des Residenzorchesters der Elbphilharmonie, dann hat er den Job ganze acht Jahre gemacht.
Alan Gilbert ist in Hamburg kein Unbekannter. Der gebürtige New Yorker, der von 2009 bis Ende Juni 2017 als Music Director des New Yorker Philharmonic Orchestra tätig war, war immer wieder Gastdirigent in der Hansestadt. Für den Elbphilharmonie-Generalintendanten Christoph Lieben-Seutter ist er sogar der Wunschkandidat. „Mit ihm ist die hochkarätige Fortführung des Programms garantiert“, sagt dieser. Und auch Lutz Marmor glaubt, dass Gilbert, dem großer Innovations- und Gestaltungswille nachgesagt wird, bestens in das momentan wohl modernste Konzerthaus der Welt passe.
Alan Gilbert hat ein großes internationales Renommee. Mit einem breiten Repertoire vom Barock bis zur Gegenwartsmusik hat er sich einen Ruf als Interpret von Weltrang erarbeitet, auch als Operndirigent feiert er Erfolge. Bei seinem umjubelten Debüt im April in der Elbphilharmonie mit Mahlers Vierter Symphonie unterstrich er seinen Ruf als einer der herausragenden Mahler-Interpreten der heutigen Zeit. Als Gastdirigent ist er international bei führenden Orchestern gefragt, darunter bei den Berliner Philharmonikern, dem Royal Concertgebouw Orchestra Amsterdam, dem Gewandhausorchester Leipzig, dem Cleveland Orchestra, dem Boston Symphony oder dem London Symphony Orchestra.
Als Ehrendirigent ist Gilbert bis heute dem Royal Stockholm Philharmonic Orchestra verbunden, dessen Chef er von 2000 bis 2008 war. In New York hat er in seiner Schaffenszeit unter anderem mit modernen Festival-Konzepten den bedeutenden Ruf des dortigen Philharmonie-Orchesters ausgebaut.
Nach Ende seiner Amtszeit im Big Apple, sagt der 50-jährige Gilbert, habe es wenig gegeben, was ihn gereizt habe, schon bald wieder die Herausforderung einer neuen Chefposition anzunehmen. Aber beim NDR Elbphilharmonie Orchester passe alles perfekt zusammen, die Rahmenbedingungen des Ensembles seien einzigartig, die musikalische Chemie stimme und der Konzertsaal sei perfekt. „Wie selten findet man eine Situation vor, in der es nicht nur möglich ist, die Vision eines Orchesters im 21. Jahrhundert voranzutreiben, sondern in der auch alle Beteiligten gemeinsam diese Entwicklung wollen“, sagt Alan Gilbert.
Bis er den Chefposten in Hamburg antritt, will er sich seiner Organisation „Musicians for Unity“ widmen. Unterstützt von den Vereinten Nationen, veranstaltet er mit Musikern aus aller Welt Konzerte für Frieden, Menschenrechte und Entwicklung. Das sei in schwierigen Zeiten sein Beitrag zur Verständigung von Menschen und Völkern über Grenzen hinweg. Weltweite Gastauftritte als Chefdirigent sind in dieser Zeit sicherlich auch nicht auszuschließen. n TEN