Über Dimensionen
Das südliche Überseequartier polarisert die Gemüter – eine Annäherung
Es hat schon ein bisschen etwas von einer frühzeitigen Sommerlochdebatte: Einige Anwohner kritisieren die Planungen für das südliche Überseequartier und schon wird eine teils hitzige Debatte in den Medien und der Politik losgetreten, ein Baustopp soll gerichtlich erwirkt werden.
Warum? Weil das Einkaufszentrum zu groß werden soll, zu viel Verkehr anzieht, die hohen Gebäude Schatten werfen und Winde wehen. Bei der Debatte werden dabei die Interessen vieler Parteien in einen Topf geworfen, an deren Spitze sich die Initiative „Lebenswerte HafenCity“ gestellt hat. Eine Diskussion hat angesetzt, die man so oder so ähnlich inzwischen bei jedem größeren Projekt in Deutschland führt, irgendwer hat immer irgendwas dagegen das ausgerechnet bei ihm etwas gebaut oder geplant wird. Im Englischen hat sich dafür das Schlagwort Nimby, Not In My Back Yard (Nicht in meinem Hinterhof) eingebürgert. Die größten Ängste kommen dabei nicht aus der unmittelbaren Nachbarschaft, sondern aus der unmittelbaren Innenstadt. Die dortigen Geschäfte befürchten durch die attraktive Lage des Überseequartiers Umsatzeinbußen von bis 25 Prozent, eine Größenordnung, die für viele Einzelhändler eine Existenzbedrohung ist – neben den immer weiter steigenden Mieten rund um die Binnenalster und der Konkurrenz aus dem Internet. Durchaus reale und nachvollziehbare Ängste, unter deren Anführung man aber auch gleich jeglichen Versuch einer Stadtentwicklung einstellen könnte. Der Handel ist in schwerem Wetter und sicher ist der Veränderungsprozess noch nicht an seinem Ende angelangt. Das Konzept von Unibail-Rodamco, dem Investor im südlichen Überseequartier, ist einer der Versuche, sich der Todesspirale zu entziehen und Handel und Erleben miteinander zu verknüpfen. Kinos, Gastronomie und Kreuzfahrtterminal, sowie viel mehr Wohnungen als im ursprünglichen Konzept, sollen die Menschen in das Einkaufsquartier locken. Dass dieser Art Konzepte im kleinen Rahmen nur begrenzt funktionieren, haben andere Shoppingzentren schon bewiesen, es ist eine gewisse kritische Größe notwendig. Das nördliche Überseequartier, auch wenn es sich im Sommer inzwischen etwas besser darstellt, zeigt, wie kleine Einkaufsstraßen nicht funktionieren. Auf eine ganz andere Weise stellt sich der versuchte Eingriff in die wirtschaftliche Liberalität der Hansestadt dar. Nach langem Suchen nach einem Ersatz für den wirtschaftlich gescheiterten Erstinvestor hat sich endlich jemand gefunden, der fast eine Milliarde Euro in die Riesenbaugrube in bester Lage investieren will. Auf eigenes Risiko, mit einem Konzept, das nicht das des üblichen Investors in Hamburg, ECE, entspricht und mal einen Shoppingmix abseits bieten könnte, der das Kreuzfahrtterminal baut, Wohnungen und der natürlich gerne eigene Vorstellungen umsetzen möchte – und das alles in einem Rahmen, der eigentlich akzeptabel ist, warum sollte das nicht gut sein?
Die Kritik der Anwohner entzündet sich an eigentlich zwei Punkten. Zum einen am zu erwarteten Verkehr, der, egal ob das jetzige Konzept von Unibail-Rodamco oder eine etwas kleinere Version, erfolgreich ist, so oder so aus dem Ruder laufen dürfte. Und zum anderen an der architektonischen Ausformulierung, die an einigen Stellen höher und an einigen Stellen niedriger als der ursprüngliche Entwurf ist. Dass das Verkehrskonzept der HafenCity insgesamt fragwürdig ist, wurde schon hinreichend diskutiert, daran ändert das neue Konzept zum Überseequartier-Süd nicht wesentlich etwas. Das aber gerade das Eckhaus zum Dalmannkai, ehemals das geplante Bezirksamt Mitte, nun ein Wohngebäude mit Gewerbe im Sockel, den Kritikern ein Dorn im Auge ist, stößt bei Kennern der Szene aus Ratlosigkeit. Der gleiche Personenkreis hatte sich vorher Sorgen wegen des erwarteten Publikums des Bezirksamtes gemacht, ein Publikum, das nun durch die Bewohner eher hochpreisiger Wohnungen ersetzt würde, man könnte glatt vermuten, das hier andere Motive als pure Menschenfreundlichkeit eine Rolle spielen. Es fällt schwer, in diesem Konflikt eine Position zu beziehen, einem Konflikt, der stellvertretend für viele Konflikte mit Partikularinteressen in Hamburg steht. Stadtplanung in Zeiten von versuchter Bürgerbeteiligung ist ein Minenfeld, angefangen im Kleinen, wie bei der Ansiedlung von Flüchtlingsheimen, bis hin zu Großprojekten wie dem Bau neuer U-Bahnlinien oder Olympischen Spielen, sobald der egoistische Bürger wirklich beteiligt wird, wird es schwierig. Bürgerbeteiligung fordert den mündigen altruistischen Menschen, einen der über seine unmittelbaren Interessen hinweg sieht. Fehlt diese Einsicht, kann es schnell heißen: Rien ne va plus – Nicht geht mehr. n MB