Extrovertiert und selbstbewußt
Die Künstlerin Lilia Nour bearbeitet einen biographisch-politischen Themenkreis
Sie ist inzwischen eine feste Institution auf dem Kaiserkai, vier Jahre schon malt die Künstlerin Lilia Nour für alle Menschen sichtbar ihre Werke in der Werkstattgalerie und erfreut Menschen auf dem Weg zur Elbphilharmonie mit dem überraschenden Einblick in das Leben einer Künstlerin und dem Erlebnis dabei sein zu können, wenn Kunst entsteht. Das Konzept des „Malens im Schaufenster“ ist keine spezielle Erfindung von ihr, in Hamburg aber eher mal in Temporärflächen zu beobachten statt als permanente Einrichtung. Die Kombination eines Ateliers und einer Galerie – von ihr Werkstattgalerie genannt – verblüfft die Passanten und fordert vom Künstler ein großes Maß an Selbstbewusstsein und Extrovertiertheit.
Lilia ist ein Stück weit beides – und auch wieder nicht. Sie musste sich als Frau im harten Kunstgeschäft immer durchbeißen und als geborene Tatarin mit charmantem Akzent konnte sie sich nie auf ihre rhetorischen Fertigkeiten verlassen, sondern immer nur mit ihrem Können überzeugen. Kunst macht sie schon ein Leben lang, nicht als Zeitvertreib, nicht als Teil eines Selbstverwirklichungsprozesses, sondern weil es immer ihr Weg war, schon von Kindesbeinen an. Ihr Vater war Künstler, ihre Grundschule war eine Kunstschule, bis hin zum Studium in St.Petersburg – immer nur Kunst, Kunst, Kunst und so ging es vor fast zwanzig Jahren, als sie nach Deutschland kam, nahtlos weiter.
„Angefangen habe ich in der HafenCity schon vor über zehn Jahren, damals hatte ich mich mit einem anderen Künstler zusammen bei einem Teppichhändler in der Speicherstadt eingemietet“, erzählt Lilia. „Die Zusammenarbeit währte aber nicht lang, schon nach kurzer Zeit stellten wir beide fest, dass wir keine Teamplayer sind und so stand ich als alleinerziehende Frau vor der Entscheidung, ob ich mir das zutraue, einen Speicherboden als Atelier und mein Leben über die Kunst zu finanzieren. Nun, über zehn Jahre später, zeigt sich, dass ich damals die richtige Entscheidung getroffen habe. Über verschiedene Speicherböden bin ich schließlich vor vier Jahren von der Speicherstadt direkt ins Herz der HafenCity gezogen – die beste Entscheidung meines Lebens.“
Hier, in einer Ladenwohnung, kann sie zu jeder Uhrzeit arbeiten ohne die Familie aus den Augen zu verlieren – für sie die Idealkombination: „Für alle sichtbar zu arbeiten ist eine besondere Herausforderung, auf der einen Seite genieße ich es den Menschen zu zeigen, dass Kunst immer noch auch von Können kommt, dass sie auch harte Arbeit ist, auf der anderen Seite ist es auch schwierig konzentriert zu arbeiten, wenn man an schönen Sommertagen mit viel Publikum dieselbe Frage zum hundertsten Mal gestellt bekommt.“
Doch die Pluspunkte des besonderen Ortes überwiegen für sie. Die Elbphilharmonie zieht viel internationales Publikum in die HafenCity, ihre Bilder gehen in alle Welt und gegen die Aufmerksamkeit, die sie und ihre Bilder im Epizentrum Hamburgs genießen, kommt das allmächtige Internet auch nicht an. Trotzdem muss sie sich auch neuen Herausforderungen stellen:
„Wenn man als Künstler ohne Galeristen und Agenten auf sich gestellt arbeitet, muss man viel lernen. Logistik, Buchhaltung, Verzollung, Kundenkommunikation – nichts, was einem an den Kunsthochschulen beigebracht wird. Glücklicherweise habe ich dabei Hilfe unter anderem von alten Nachbarn aus der Speicherstadt, die inzwischen neben Teppichen auch meine Bilder kompetent in alle Welt verschiffen.“
Ihre Bilder sind in der Regel nichts was sich einfach per Post verschicken ließe. Ihre Sakura-Serie – Kompositionen aus mit Öl gespachtelten Kirschblüten – wird meist auf großen Keilrahmen gemalt, aktuell befinden sich gleich mehrere Werke mit drei Meter Kantenlänge in der Arbeit.
„Ich brauche die Fläche um mich auszudrücken, auch wenn die filigranen Blüten eigentlich klein sind. Aber die Komposition des Momentes des Falls braucht Platz – und Zeit.“ Die Frage nach der Zeit ist übrigens die am häufigsten gestellte Frage in ihrem Atelier, wahrscheinlich verursacht dadurch, dass man sie konzentriert mit einem kleinen Spachtel die tausenden Blüten auftragen sieht. Zwei Monate braucht sie im Durchschnitt für eines ihrer Bilder, eine natürliche Begrenzung dessen, was sie im Jahr malen kann, auch wenn sie meist an zwei Werken parallel arbeitet. Aber sie malt nicht nur Blüten und Blumen: „Die Nachfrage nach meinen Sakura-Arbeiten ist einfach so hoch, dass ich im Moment kaum zu meinen anderen beiden Serien komme.“ Neben floralen Motiven lebt sie ihre Vorliebe für den Konstruktivismus in Bildern Hamburger Hafenkräne aus, vorzugsweise mit viel Gold. Wenn sie es dann aber mal schafft, sich diesem Sujet zu widmen, sind diese Bilder meist noch schneller verkauft als ihre Blütenträume.
Pflanzen sind aber nicht nur auf Leinwand ihre Leidenschaft: Ihr grüner Daumen und ihre Vorliebe für Blüten vor ihrem Schaufenster hat ihr schon die eine oder andere Verwarnung vom Ordnungsamt eingebracht, das ihre Leidenschaft für Dekoration nicht teilt.