Aliens im Stau?
Fünf Anwohner klagen gegen den Bebauungsplan des Überseequartiers-Süd – Ihrer Ansicht nach ein UFO
Wenn es um das südliche Überseequartier geht, muss man sich zunächst immer wieder aufs Neue die Fakten des gigantischen Projektes vergegenwärtigen: Auf rund 260.000 qm entsteht seit April 2017 ein innenstädtischer Einzelhandels-, Gastronomie-, Freizeit-, Dienstleistungs- und Wohnschwerpunkt, ein Stadtteil innerhalb eines Stadtteils. 400 Wohnungen, rund 30 gastronomische Einheiten, ein großes Multiplexkino mit 2.700 Sitzen, weitere Entertainmenteinrichtungen, 3 Hotels mit 800 Zimmern und ein Kreuzfahrtterminal mit 2 Liegeplätzen.
Entgegen den ursprünglichen Planungen größere Dimensionen und vielfältigere Nutzungen, die sich auch in der Architektur niedergeschlagen haben – andere Gebäudevolumen, massiverer Unterbau. Dass ein Projekt dieser Größenordnung Kritiker auf den Plan ruft ist in heutigen Zeiten nicht ungewöhnliches, fast alltäglich – es wäre eher ein Wunder gewesen, wenn niemand gegen dieses Projekt Einwände gehabt hätte. Nun begrenzt das Hamburger Baurecht glücklicherweise die Klageberechtigung gegen Bebauungspläne auf unmittelbar Betroffene, und genau aus diesem Kreis rekrutieren sich die fünf Kläger, die am 9.Juli Klage eingereicht haben, zunächst gegen den Bau der Tiefgarage stellvertretend für die gesamte Bauplanung. Diese Fünf sind direkte Nachbarn des Gebäudes, das ursprünglich einmal für das Bezirksamt Mitte geplant worden ist, und jetzt Einzelhandel und Wohnungen in einem neuen, etwas höherem und dafür schlankerem Baukörper, beherbergen soll. Von anfänglicher Kritik wegen Verschattung und Blickverbauung haben sich die Kläger und deren Unterstützer inzwischen zu globaler Stadt-, Verkehrs- und Einzelhandelskritikern entwickelt und stellen das gesamte Projekt in Frage.
Iris Neitmann, eine der Klägerinnen, kritisiert aus ihrer Perspektive: „Es liegt eine Missachtung der ursprünglichen Ziele der Etablierung von Sichtachsen vor, zum Beispiel wird die Überbauung der San Francisco Straße dazu führen, dass man als Fußgänger nicht mehr auf die Elbe schauen kann“ und führt weiter ein anders Kernthema in der HafenCity an: „Es ist eine Straßenbelastung von 25.000 Autos am Tag zu erwarten, Luft- und Lärmbelastung fallen dadurch zu hoch aus“. Nun könnte man anführen, dass die besagte Straße die Verlängerung der Straße Am Sandtorpark ist, die für sich schon eine ganz anständige Steigung hat und von der man auch schon nicht mehr auf die Elbe schauen kann – die Sichtachse hat also ohnehin nur Bestand über die 50 Meter rund um die Kreuzung. In größerem Maßstab kritisiert Architekt Bruno Brandi: „Man hat sich im Grunde überhaupt nicht an den Masterplan gehalten. Größe und Ausmaß empfinden wir als starken Missgriff in der Planung.“. In eine ähnliche Kerbe schlägt Dr. Kirsten Nieser, Kunsthistorikerin, Künstlerin und Vorstand der Stiftung StadtLandKunst von Iris Neitmann: „Was ist aus dem Boulevard-Charakter geworden? Wo sind die Bildungsstätten, die kulturellen Einrichtungen? Wo sind Kultur, Kunst und Begegnung zu finden?“ Kinos sind natürlich keine Kultur und wie ein Boulevard scheitern kann, sieht man am nördlichen Überseequartier – könnte man entgegnen, fragt sich in Zeiten des boomenden Internethandels aber auch, wie der Betreiber 80.000 qm Shoppingflächen erfolgreich füllen will. Diese Frage stellt sich aber auch bei den ursprünglich geplanten 30.000 qm und wer weiß, vielleicht ist die einzig erfolgversprechende Antwort tatsächlich groß zu denken – um nicht letztlich als eine Kopie des City Centers Steilshoop zu enden.
Das gesamte Konzept zugunsten von zumindest einem Drittel Sozialwohnungen zu kippen, wie es Frank Engelbrecht, Pastor und hyperaktiver Stadtplanungskritiker, fordert, wäre in Sachen Verkehr auch nicht gerade zielfördernd. Würde man statt der Büros und Gewerbeflächen ausschließlich Wohnungen bauen, würde die jetzt geplante Tiefgarage mit 3200 Plätzen gerade ausreichen und zur Rush-Hour morgens und abends sehr viel mehr Verkehr anziehen, als jetzt befürchtet. Der Klageführende Anwalt Michael Günther sieht die Erfolgschancen der Klage deshalb wohl realistisch: „… nur wenn diese Gehör findet, könnte man seine Bedenken anwenden, ansonsten läuft alles so weiter …“. Nun stellen wir uns mal zum Schluss nur einen Moment vor, die Kläger würden mit ihrem Antrag Erfolg haben: Der Bau würde gestoppt werden. Zunächst hätten die HafenCity weiterhin eine klaffende Lücke, nur diesmal um einige Meter tiefer und um einiges größer, als das Loch vorher gewesen ist. Investor Unibail-Rodamco wäre „not amused“ und würde sich möglicherweise aus dem Vertrag zurückziehen, endlich könnte die Stadt das Areal neu planen und dann nach einigen Jahren würde vielleicht ein lustiges gemütliches Wohnquartier auf einer viel zu großen Tiefgarage stehen – vielleicht tatsächlich ein erfolgsversprechendes Modell, denn Parkplätze sind in der HafenCity rar und könnten meistbietend versteigert werden. n MB