Auf dem Weg in die Geschichte

Pastor Frank Engelbrecht in der Baustelle
Pastor Frank Engelbrecht in der Baustelle
Spurensuche in St. Katharinen

Es ist ein Geschichtsbuch, dass die Archäologen derzeit in der Hauptkirche St. Katharinen aufschlagen: Schicht für Schicht stoßen sie im Erdreich auf neue Spuren aus der bewegten Vergangenheit der über 700 Jahre alten Kirche. Für Furore sorgt der sensationelle Fund eines Doppelportals aus dem Anfang des 15. Jahrhunderts. „Vermutlich war es das repräsentative Hauptportal auf der Stadtseite, als ab 1407 das nördliche Seitenschiff als Kirche diente, während Chor, südliches Seitenschiff und Mittelschiff noch im Bau waren“, mutmaßt der Bauhistoriker Dr. Holger Reimers im Gemeindebrief. „Wohl im Rahmen einer Planänderung wurden erst später die heute gegenüberliegenden Portale in der Nord- und in der Südfassade eingefügt.“

Er würde die Fundstücke gerne aufgearbeitet in der Kirche ausstellen
Er würde die Fundstücke gerne aufgearbeitet in der Kirche ausstellen
Die St. Katharinenkirche wird seit 2007 umfassend saniert – erst von außen, nun im Innern. Fußboden, Heizung, Beleuchtung und Bestuhlung werden erneuert, eine neue Chor-Empore und eine neue Orgel sind geplant. Dafür wurde der Kirchenraum nun vollkommen entkernt, Bagger und der Kampfmittelräumdienst wühlen sich durch das Erdreich.
Bereits im vergangenen Jahr war bei Außenarbeiten das östliche Portal freigelegt worden. Im Frühjahr dieses Jahres wurden bei Bauarbeiten auf der Innenseite abgeschlagene Formsteine zweier spitzbogiger Öffnungen sichtbar. Die innere Laibung des östlichen Durchgangs war farblich gestaltet: Putze, Tünche und Malereien aus der Zeit von 1380 bis 1888 sind erhalten. Besonders gut zu erkennen sind die Reste einer spätgotischen Ausmalung um 1480 in blaugrün und rot. 1888 wurde das Portal eingemauert – und durchstand so das verwüstende Feuer von 1943. Denn im Bombenhagel des Feuersturms entzündete sich am 30. Juli der Turm: Acht Tage lang schwelten die Brände im Innern – erschwert durch die Kohlen in den anliegenden Kellern der Kirche. Vom Turm aus dem 13. Jahrhundert, der das älteste stehende Mauerwerk Hamburgs enthält, blieb nur der Rumpf stehen. Im Feuer zerstört wurden der Altar und die große Barockorgel, auf der einst Johann Sebastian Bach spielte, ebenso wie die große Barockkanzel von 1631, die als eine der berühmtesten ihrer Zeit in Norddeutschland galt. Dabei war die Kanzel vorsorglich eingemauert worden. „Aber die tagelangen Brände wirkten wie ein Ofen, so entzündeten sich auch die Holzteile der Kanzel und der Marmor glühte durch“, erklärt der Archäologe Wolfgang Scherf (42), der mit Imke Berg (40) die Arbeiten seit Anfang Juni archäologisch begleitet.

 

Das Gesichtsfragment einer Katharinen-Statue aus der Kanzel hat sie gerade aus den Trümmern geborgen
Das Gesichtsfragment einer Katharinen-Statue aus der Kanzel hat sie gerade aus den Trümmern geborgen
Mit den Trümmern wurde im Zuge des Wiederaufbaus der Untergrund aufgefüllt. Immer wieder finden Wolfgang Scherf und Imke Berg nun Reste des geschmolzenen Kupferdachs und der Glasfenster. „Das geschmolzene Glas sieht aus wie Tränen, das ist sehr bewegend“, sagt Imke Berg. „Wenn man dazu die Zeitzeugenberichte liest, kann man sich vorstellen, wie schrecklich die Geschehnisse damals waren.“

Das Gesichtsfragment einer Katharinen-Statue aus der Kanzel hat sie gerade aus den Trümmern geborgen. Die feinen Gesichtszüge der Heiligen sind noch gut zu erkennen und werden nun in der Konservierungswerkstatt aufgearbeitet. Auch eine versilberte Kupfermünze, datiert auf 1669, fand sich in den Trümmern.
Die Säulen, die zum Vorschein kommen, zeigen noch andere Spuren: Als die Franzosen 1813 Hamburg besetzten, okkupierten sie die Kirche als Pferdestall. „Der Pferdemist muss hier hoch gestanden haben, denn durch den Urin wurden die Säulen dauerhaft geschädigt“, so Berg.  Eine mittelalterliche Grabplatte gehört zu den vorreformatorischen Funden des Grabungsteams. Sie stammt aus dem 15. Jahrhundert. Schiffsbauer und Bierbrauer gehörten damals zur Gemeinde. Später zogen wohlhabende Kaufleute ins Brookviertel. Nur sie konnten es sich damals wohl leisten, sich direkt im Kircheninnern bestatten zu lassen. Die Grabplatten bildeten den Kirchenboden, der im Laufe der Jahrhunderte von unzähligen Kirchgängern abgetreten wurde. So ist die Schrift kaum mehr zu entziffern. Die Archäologen hoffen jedoch, weitere unversehrte Grüfte im Erdreich zu entdecken.

Pastor Frank Engelbrecht schaut den Archäologen bei ihrer Arbeit gerne über die Schulter und ist begeistert. Er würde die Fundstücke gerne aufgearbeitet in der Kirche ausstellen – als begreifbare Erinnerungsstücke aus einer bewegten Geschichte. Das alte Portal sollte auf jeden Fall offen bleiben und der Kirche eine neue Lichtquelle schenken. Eine Idee, die auch den Archäologen gefällt: „Archäologie ist kein Selbstzweck. Es freut uns, wenn wir Gebäuden ihre Geschichte zurückgeben können. Es wäre deshalb schön, wenn die Funde hierbleiben könnten“, sagt Wolfgang Scherf.