Bilderbogen

Jürgen Bruns-Berentelg präsentiert
Jürgen Bruns-Berentelg präsentiert

Die HafenCity Zeitung im Gespräch mit Prof. Jürgen Bruns-Berentelg über städtebauliche Eingangsbereiche, die Entwicklung des Billebogens und über Stadtteile, die über Brücken hinweg zusammen wachsen.

Der Billebogen erstreckt sich östlich der HafenCity bis zum Billebecken. Das Gebiet im Stadtteil Rothenburgsort grenzt außerdem unmittelbar an die City-Süd in Hammerbrook, an die Veddel, Hamm und an Billbrook. Sein Eingangstor bilden die Elbbrücken. Auf der anderen Seite der Elbe wird künftig der neue, gemischt genutzte Stadtteil Grasbrook entwickelt werden. Mit der Entwicklung des Billebogens wurde die Billebogen Entwicklungsgesellschaft mbH & Co. KG (BBEG), eine Tochter der HafenCity Hamburg GmbH (HCH), beauftragt. Prof. Jürgen Bruns-Berentelg ist Vorsitzender der Geschäftsführung von BBEG und HCH. 

Herr Bruns-Berentelg, welche Idee steht hinter der Entwicklung des Billebogens?

Es geht darum, einen Eingangsbereich zur inneren Stadt und einen Verknüpfungsort zwischen HafenCity und Rothenburgsort zu schaffen. Für jeden, der mit dem Zug, der S-Bahn oder dem Auto vom Süden nach Hamburg kommt, markieren die Elbe und die Elbbrücken den gefühlten Eingang zur Stadt. Der hier beginnende Stadtteil Rothenburgsort gehörte früher tatsächlich zur inneren Stadt, er war dicht und urban. Nach seiner weitgehenden Zerstörung im Zweiten Weltkrieg wurde er allerdings durch mächtige Infrastrukturschneisen und gewerbliche Nutzungen geprägt. Wir wollen städtebauliche Impulse setzen, die für die Unternehmen, Bewohner, Besucher und Nachbarn von Rothenburgsort neue Qualitäten schaffen. Bessere ÖNPV-Verbindungen und kürzere Wege, bessere öffentlicher Zugänge und größere Aufenthaltsqualitäten der Wasserlagen, aber vor allem wohnortnahe und mit allen anderen urbanen Nutzungen gut verträgliche Arbeitsplätze gehören dazu. Der Schwerpunkt des Billebogens liegt auf urbaner Produktion und anderen gewerblichen Nutzungen. Wir können rund 10.000 Arbeitsplätze schaffen, davon 2500-3000 im zentral gelegenen Areal des Neuen Huckepackbahnhofs. Dennoch verfolgen wir einen integrierten Ansatz, der auch den Bewohnern zugutekommt – etwa bei der Frage, ob im Lärmschatten neuer Gewerbegebäude auch mehr Wohnen möglich wird und ob wir die Verkehrsinfrastruktur so verändern können, dass die in den letzten 60 Jahren entstandene „Insellage“ des wesentlichen Teils von Rothenburgsort aufgehoben oder zumindest verringert wird.

Wie sieht die Zeitschiene für die Entwicklung aus?

Wir sehen den Billebogen als einen Ort mit ganz unterschiedlichen Handlungsräumen und unterschiedlichen Geschwindigkeiten. Der Neue Huckepackbahnhof, wo wir auf ca. 11 ha einen innovativen Standort für Urbane Produktion entwickeln, ist ein schneller Ort. Für seine verkehrliche Einbindung in Richtung Billbrook und Rothenburgsort haben wir ein multiples Erschließungskonzept vorgesehen, das diesen bisher gefangenen Ort schrittweise mit sechs räumlichen Bezügen stärker integriert. Ein weiterer Entwicklungsschwerpunkt liegt auf der ehemaligen Schule am Bullenhuser Damm. In dem denkmalgeschützten Gebäude befindet sich die Gedenkstätte für die „Kinder vom Bullenhuser Damm“. Es befindet sich aber auch eine Kita in dem Gebäude. Dies ist eher ein „langsamer Ort“: Wir erarbeiten im Dialog mit weiteren Akteuren ein Konzept, das die Geschichte und die aktuellen Nutzungen respektiert, und das die ehemalige Schule in einen Impulsgeber für ihren Nahbereich am Billebecken transformiert. Die BBEG wird auch prüfen, ob und wie Gewerbeflächen in diesem Bereich neugeordnet werden können. Es gibt Ansatzpunkte, öffentliche grüne Uferzonen zu schaffen. Diese Aufgabe kann allerdings nur langfristig gelöst werden, weil damit Fragen von Grundstückstausch und dem Erwerb weiterer Grundstücken verbunden sind. Am Billhafen im Süden schließlich gilt es, die Verbindung zur HafenCity zügig herzustellen.

Wie sehen diese geplanten Verbindungen am Billhafen aus?

Noch 2017 werden wir einen Architektenwettbewerb für zwei Brücken im Bereich des Oberhafenkanals und des Billhafens ausloben. Die Verbindungen für Fußgänger und Radfahrer sollen Entenwerder und Rothenburgsort mit der HafenCity verbinden. Obwohl der Brückenbau unter Finanzierungsvorbehalt steht, sind wir zuversichtlich, dass die Brücken in einem Zeitraum von fünf Jahren finanziert und baulich realisiert werden können. Dabei räumen wir der Brücke vom Billhafen zur Ostspitze des Quartiers Elbbrücken, welche einen kurzen Weg von Rothenburgsort zur neuen U- und S-Bahnstation Elbbrücken ermöglicht, eine hohe Priorität ein.

Der vierte große Handlungsraum, den wir aktuell sehen, ist das nahe gelegene Autobahnkreuz aus den 1960er Jahren an der Billhorner Brückenstraße. Die „Autobahnohren“ nehmen weit mehr Raum ein, als der Verkehrsfluss nötig macht. Wir untersuchen einen möglichen Rückbau. Im Bereich der heutigen Autobahnohren könnten wir bis zu 220.000 QM Bruttogeschossfläche gewinnen – für Gewerbebauten mit hervorragender Sichtbarkeit entlang der Billhorner Brückenstraße, in deren Lärmschatten zukünftig auch Wohnen möglich ist.

Also keine Entwicklung von Westen nach Osten mit festem Enddatum wie in der HafenCity?

Es kommt im Wesentlichen darauf an, dass es gute Lösungen gibt und dass das Gesamtprojekt Fortschritte macht. Der Billebogen erfordert andere Strategien als die HafenCity, die zu Beginn der Entwicklung überwiegend leer und untergenutzt war. Dort konnte man einen zusammenhängenden Masterplan entwickeln. Im Billebogen gibt es eine Vielfalt von Strukturen, Nutzungen und Potenzialen, auf die wir uns in jedem Teilraum neu einstellen. Wir müssen Lösungen mit Bewohnern und Interessenten diskutieren und unsere Strategie ausrichten.

Können Sie genauer darstellen, welche Rolle das Wohnen im Billebogen heute bzw. künftig spielt?

Aktuell leben dort rund 1.100 Menschen. Viele Wohnlagen würden heute wegen der Lärmimmissionen gar nicht mehr genehmigt werden. Wir prüfen, ob mit Hilfe intelligenter Lärmschutzlösungen des Gewerbebaus das Wohnen gestärkt werden kann. Wenn wir die „Autobahnohren“ zurückbauen, können im Lärmschatten der Gewerbebauten zum Beispiel sicher 300 Wohnungen entstehen. Dennoch wird Wohnen im Billebogen angesichts der massiven verkehrlichen Lärmemissionen immer eine nachrangige Rolle spielen. Durch das Schaffen von gut 10.000 Arbeitsplätzen, die in direkter Nachbarschaft zu den Wohnlagen entstehen und sich mit diesen vertragen, stabilisieren wir allerdings auch das Wohnen in Rothenburgsort.

Wie erfolgt die Zusammenarbeit der BBEG mit den anderen Akteuren, wie z.B. mit dem zuständigen Bezirk?

Der Billebogen umfasst eine Gesamtfläche von etwa 79 Hektar im Bezirk Hamburg Mitte. Rund 20 Hektar davon stehen als verfügbare Grundstücksflächen in öffentlichem Eigentum und wurden auf die BBEG übertragen wurden. Politisch verbleibt das Areal des Billebogens wie das gesamte räumliche Umfeld in der Verantwortung des Bezirks Hamburg- Mitte; es wird kein Sondergebiet wie die HafenCity. Die BBEG arbeitet mit dem Bezirk eng zusammen, wir haben einen vertrauensvollen und regelhaften Austausch. Besonders wichtig ist uns aber auch ein Gremium mit lokalen Akteuren, die die Entwicklung des Billebogens intensiv begleiten. Es handelt sich um eine offene Gruppe von ca. 30 engagierten Bürgern, Vertretern von Unternehmen und Institutionen. Im Übrigen sind auch die Behörden für Stadtentwicklung und Wohnen, Umwelt und Energie sowie Wirtschaft und Verkehr mit am Tisch. In einem Lenkungssauschuss der Senatskanzlei wird die Entwicklung verschiedener Projekte bis in den Hamburger Osten hinein regelmäßig koordiniert, auch dort sind wir vertreten.

Und die Finanzierung solcher übergreifenden Projekte?

Es gibt keine eigenständigen Mittel für die Entwicklung des Billebogens bis auf eine Einlage in die BBEG in Höhe von zwei Millionen Euro. Wir leihen uns Geld aus dem Kapitalmarkt und finanzieren die Aktivitäten, z.B. die Infrastruktur im Neuen Huckepackbahnhof. Wir platzieren Grundstücke im Erbbaurecht, in Einzelfällen verkaufen wir sie auch und können so die Kredite zurückführen.

Wer setzt die Prioritäten für den Bau der erforderlichen Maßnahmen?

Die BBEG kann Prioritäten setzen. Vor allem aber kommt, es wie gesagt, auf gute Lösungen an. Nehmen Sie zum Beispiel den vormals geplanten Tunneldurchstich für LKw- und PKw-Verkehr unter dem Bahndamm im Süden des Neuen Huckepackbahnhofs. Diese Durchfahrt war lange geplant und hätte bis zu 30 Millionen Euro gekostet. Aber die Bewohner haben sich, aus meiner Sicht zu Recht, gegen diese geplante Verkehrsführung zur Wehr gesetzt, die mehr Durchgangsverkehr in ihrer Nachbarschaft bedeutet hätte. Wir haben Alternativen untersuchen lassen und stattdessen eine multiple Erschließung für den Neuen Huckepackbahnhof entwickelt, die den Kraftverkehr vor allem nach Norden ableitet und viele Verknüpfungen zum ÖNPV schafft.  Es ist sogar geplant, eine Buslinie über den Neuen Huckepackbahnhof fahren zu lassen. Angesichts der künftig intensiven gewerblichen Nutzung mit bis zu 3000 Arbeitsplätzen ist vor allem eine gute Verknüpfung zum S-Bahnhof Rothenburgsort und zur neuen U-und S-Bahnstation Elbbrücken wichtig. Schließlich haben wir eine Tunnelvariante für den Bahndurchstich entwickelt, die ausschließlich für Fußgänger und Radfahrer bestimmt ist, und über welche auch der Alster-Bille-Elbe-Grünzug verlaufen wird. So wird der stadträumliche „Fremdkörper“ des ehemaligen Bahnareals von allen Seiten durchfahrbar. Sie sehen: Die Vernetzung innerhalb und außerhalb des Billebogens bildet eine eigenständige Aufgabe.

Der Billebogen ist durch seine Nähe zum Wasser geprägt. Wie wollen Sie diese Lagen besser öffentlich zugänglich machen?

Die ausgedehnten Lagen an Bille und Elbe sind bislang erst in Ansätzen erschlossen. Solche Zugänge wollen wir ausbauen, zum Beispiel durch öffentliche Promenaden. Das schafft dann auch langfristig gute und stabile Voraussetzungen für Sportvereine.

Wie wird das Sanierungskonzept der Uferzonen aussehen?

Anders als in der HafenCity haben wir hier kein Tidegewässer. Es herrscht ein ziemlich stabiler Wasserstand und für die Zukunft sind hier bis auf sehr wenige Orte keine Nutzungen geplant, die Kaimauern erfordern.  Man könnte zum Beispiel die gesamte Südseite des Billebeckens mit einer ökologisch werthaltigen Uferböschung versehen. Auch diese Lösung können wir aber nur schrittweise angehen, zumal sie zunächst nicht ganz preiswert ist, wenn Grundstücke dafür erworben werden müssen. Wir müssen dann mit anderen Grundstücken Geld verdienen. Dafür sparen wir langfristig bei der Pflege solcher Anlagen. Für eine Uferböschung ergeben sich sehr viel geringere Instandsetzungskosten als z.B. für Kaimauern.

Sie sprechen von Grundstückserwerb oder -tausch. Was sagen die Nachbarn dazu?

Wir führen viele Gespräche und zeigen unser Interesse an bestimmten Grundstücken, die für die Entwicklung wichtig sind. Anderseits gibt es Eigentümer, die Interesse haben ihre Grundstücke freizugeben und dafür ihren Betrieb zu verlegen. Wir gehen von vielen solcher Gespräche in den kommenden Jahren aus.

Sie meinen Betriebsverlegungen innerhalb des Billebogens?

Ja, aber auch außerhalb. Es kommt darauf an, wie die Planungen der Hamburger Unternehmen aussehen: Welche Entwicklungsperspektiven gibt es für die nächsten 20-30 Jahre? Welche Bedarfe an Flächen, Gebäuden und verkehrlicher und sozialer Infrastruktur? Wo können wir ein Angebot machen, das es so noch gar nicht gibt? Nach meiner Erfahrung werden Unternehmer da hellhörig. Sie nutzen Entwicklungen wie den Billebogen, um ihre Standortentscheidungen zu überprüfen. Wir sind offen für alle, die zu uns kommen, allerdings müssen Neuansiedlungen, Umsiedlungen und Erweiterungen natürlich wirtschaftlich für uns genauso wie für die Unternehmen selbst wirtschaftlich vertretbar sein.

Sind Veränderungen für die Bestandsbauten geplant? Was wird z.B. aus dem sogenannten Mercedeshaus, das mitten auf der Billhorner Brückenstraße steht und den Eingang zur Stadt prägt?

Das Mercedeshaus bleibt. Generell werden wir Eingriffe in den Bestand möglichst vermeiden. Es ist auch gar nicht nötig. Das Gebiet ist in den letzten 60 Jahren nicht besonders dicht entwickelt worden. Dadurch können wir jetzt oft auf freien Flächen agieren.

Wann beginnt die Vermarktung des Gebietes?

Wir haben schrittweise schon begonnen. Wir waren in den letzten Jahren mit dem Billebogen auf den großen Immobilienmessen in München und Cannes, in diesem Oktober wieder auf der Expo Real in München. Im Rahmen dieser Vermarktung sagen wir, wo wir stehen und welche verschiedenen Handlungsmöglichkeiten wir im Billebogen für die Interessenten parat halten. Auf dem Neuen Huckepackbahnhof erkennt man schon die ersten Gebäude, die staatlichen Opernwerkstätten – und fundi, und das Straßennetz. Es gibt den Zuschnitt der einzelnen Baufelder im Rahmen des Funktionsplans, der 2018 im einen Bebauungsplan münden wird. In anderen Gebieten wie bei den „Autobahnohren“ und der ehemaligen Schule am Bullenhuser Damm sind wir dagegen noch in der Konzeptionsphase. Aber gerade in den Vorlaufzeiten der Planung macht macht es Sinn, sich frühzeitig mit der BBEG in Verbindung zu setzen.

Worin bestehen die Vorteile der Entwicklung aus Sicht der HafenCity?

Wir freuen uns, wenn wir die Kette der grünen und blauen Freiräume in der HafenCity mit Hilfe der geplanten Brücken noch enger mit der Freizeitinsel Entenwerder und dem Billeraum verknüpfen können. Im Übrigen sehe ich darin keinen einseitigen Vorteil für die HafenCity. Die Bewohner und Nutzer von Rothenburgsort und der Veddel profitieren genauso davon. Für sportbegeisterte Anwohner und Arbeitnehmer ist es auch interessant, dass wir das Ziel verfolgen, auf Entenwerder einen weiteren Fußballplatz zu bauen. Dies ist zunächst durchaus ein HafenCity-Thema: Wir benötigen zusätzlich zu der Sportanlage im Oberhafen, die wir gerade entwickeln, weitere Fußballflächen, die wir angesichts der Dichte und der stadträumlichen Strukturierung der HafenCity durch die Hafenbecken nicht unterbringen können. Aber auch hier sehe ich den Mehrwert letztlich bei der breiten Öffentlichkeit aller Hamburger: Ein Teil der Grünanlage wird einer intensiveren und vielfältigeren sportlichen Nutzung zugeführt, ohne ihren Charakter zu verlieren.

Rechnen Sie für diese Planung wirklich mit einer politischen Mehrheit?

Die Frage ist offen, aber ich bin überzeugt, dass wir eine gute, verträgliche Konzeption entwickeln können, die eine Fußballfläche nicht als Fremdkörper in einem grünen Stadtraum erscheinen lässt. Das war unseren Gesprächspartnern wichtig. Man sollte nicht zu früh selbst Denkbarrieren setzen.  

 

Das Gespräch führte Conceicao Feist