Black Tie und die Oberhafen-Kantine
Ein kleiner Ausflug in die Dress Codes
Eigentlich liegen zwischen der Oberhafen-Kantine und Dress Codes Welten. Die früheren Kunden des Urgesteins Anita Händel -derjenigen, die das schiefe rote Backsteinhaus unterhalb der Oberhafenbrücke 72 Jahre lang geprägt hat – und der Klientel des Neujahrsempfangs der Oberhafen-Kantine Anfang Februar, würden im normalen Leben niemals aufeinandertreffen. Doch die Zeiten ändern sich und echte Hafenarbeiter hat das Gebiet am Oberhafen lange nicht gesehen, dafür aber im zunehmenden Umfang Kulturarbeiter, die das verwaiste Gebiet für sich und ihr Schaffen entdecken. Gleichsam als Wächter des Oberhafenareals sitzt die Oberhafen-Kantine am zur Zeit einzigen Eingang an der Stockmeyerstrasse und sieht seit über 85 Jahren den Veränderungen des Geländes und des Lebens dort zu. Mal Kult und mal eher Nische, versuchen seit Anita Haendels Zeiten unterschiedliche Pächter ihr Glück mit dem schiefen Räumlichkeiten.
Nicht immer ganz einfach, es ist schlicht nicht viel Platz und wenn man nicht gerade im Fokus des Interesses steht, ist die Stockmeyerstrasse nicht gerade der Nabel der Welt und auch nicht ganz einfach zu finden. Zudem ist das Gebiet nicht Hochwassersicher, die Flutschutztore befinden sich auf der anderen Seite der Brücke, wenn das Wasser hoch genug steht, steht auch die Kantine und deren Keller unter Wasser. Alles Faktoren, die es nicht zulassen, sich nur halbherzig mit dem alten Haus auseinanderzusetzen.
Liebe und Leidenschaft sind gefragt – sonst ist Scheitern vorprogrammiert. Mit Argusaugen wacht deshalb der Eigentümer der Oberhafen-Kantine und gleichzeitig ihr größter Fan, Klausmartin Kretschmer über das Schicksal und Geschick seiner Pächter. Mit Sebastian Libbert und Tim Seidel glaubt er jetzt genau die richtigen gefunden zu haben, die als gut verwurzelte Gastronomen seine Idee vom Oberhafen als Kulturort Oberhafencity in den Rest der Stadt kulinarisch und im Event transportieren können. Geübt im Ausrichten von Mottoparties, Kunstausstellungen, Lesungen und weiteren Aktivitäten, die die Bohème der Hamburger Kulturszene anziehen. War der Oberhafen bisher eher ein Geheimtipp in der Off-Kultur, soll er jetzt endgültig im Bewusstsein der Hamburger ankommen.
Gleich zur Eröffnung folgten den Absichten die Tat: Ein verspäteter Neujahrsempfang mit Dress-Code „Black Tie“ sollte der Eröffnung und dem Oberhafen Eleganz verleihen. Laut Knigge – und nicht nur hier – ist der Black Tie nicht wie in der reinen Übersetzung anzunehmen eine schwarze Krawatte, sondern schlicht ein Smoking. Das „Tie“ bezieht sich hier auf die schwarze Fliege, die „Bow tie“. Laut verschiedener Quellen ist an einem solchen Abenden klassisches Schwarz-Weiss Pflicht, selbst Krawatten sind nur mit kräftigem Augenzudrücken wählbar. Nun, wer die Hamburger Kulturszene einlädt und den Zusatz „interpretieren“ an den Dress-Code zufügt, muss sich nicht wundern, dass dann entsprechend großzügig interpretiert wird. Aber immerhin hatten sich dann doch ausreichend Kulturarbeiter entschieden, den Rahmen für den Empfang stilgerecht zu gestalten. Die Liste der prominenten Gäste ist lang, auch wenn man bei manchen wirklich IN-kundig sein muss, um diese als solche zu erkennen. Unter den Gästen: Unternehmer Eugen Block, zieht in die Landungsbrücken, Regisseur und Intendant Ulrich Waller und seine Frau, die Theaterregisseurin Dania Hohmann, Nina Petri, Julia Nachtmann, Andreas Bichler und Kollege Fjodor Olev, Schauspieler, Sibilla Pavenstedt, Modedesignerin, Mimi Müller-Westernhagen Sängerin und Tochter von Marius Müller-Westernhagen und Frank Plasa, Produzent einer ganzen Reihe von deutschen Musikgrößen.
Über einen Gast freute sich Klausmartin Kretschmer besonders: Bert Antonius Kaufmann, kaufmännischer Direktor der Deichtorhallen, sitzt nur einen Katzensprung entfernt auf der anderen Wasserseite und ist Neuem sehr aufgeschlossen. Gemeinsam genossen sie den Auftritt von Kretschmers Lebensgefährtin Julia Wachsmann, die den von Frank Plasa geschriebenen Song zur Oberhafenkantine aufführte. Der alte Backsteinbau wird auch diesen Empfang gelassen hingenommen haben, schief ist er ja eh schon, und im Alltag gelten wie schon immer in der Oberhafen-Kantine die Dress-Codes „Come as you are“, „Casual“ und wie sie sonst alle heißen. Die Kantine hat alles schon gesehen und freut sich auf jeden, Hauptsache er bringt Hunger und Durst mit. Es gibt immer noch Frikadellen und Kartoffelsalat – natürlich auch noch mehr – und die Küche hat sieben Tage die Woche bis 22 Uhr geöffnet.