Das Rathaus: Der Bürgersaal
Mutige Bürgerschaftspräsidenten in wirren Zeiten
Man wähnt sich in einem großbürgerlichen Wohnzimmer der Kaiserzeit, sobald man den Bürgersaal des Hamburger Rathauses betritt. Der warme Schimmer der Nussbaumvertäfelung der Wände und der Kassettendecke sowie das satte Grün der mit Stadtwappen verzierten Filztapete sorgen für Atmosphäre. Ledergepolsterte Wandbänke stehen auf einem einstufigen Podest, als ob sie Zuhörer aufnehmen wollten – eine Anlehnung an den öffentlichen Charakter des Plenarsaals und an die Arbeit der Bürgerschaft. Dieser Raum dient als Festsaal für die Empfänge der Bürgerschaft. Hauptschmuck des Raumes ist der große Kamin aus poliertem, schwarzem Granit. Über dem Kamin hängt ein Gemälde des Künstlers Valentin Ruth, das in sanften Farben den alten Binnenhafen mit dem Baumhaus darstellt. Das Baumhaus war nicht nur ein über Hamburgs Grenzen hinaus berühmtes öffentliches Gebäude, sondern auch ein beliebtes Gasthaus, das bis Ende des 18. Jahrhunderts stark frequentiert wurde, bot es doch vom Balkon aus einen guten Blick auf das lebendige Leben und Treiben auf der Elbe. Hier wurden die Baumstämme gelagert, die nachts den Binnenhafen unpassierbar machten.
Die Stadtmauern Hamburgs wurden hier sozusagen auf dem Wasser fortgeführt. Der sichere Hafenbereich dahinter wurde Niederhafen genannt. Anstelle des Baumhauses befindet sich hier heute die U-Bahnstation Baumwall. Neben dem Kamin sind die Büsten Adolf Schönfelders und Herbert Ruscheweyhs ausgestellt. Herbert Ruscheweyh (1892 bis 1965) war Mitglied der SPD und gehörte von 1928 bis 1933 der Hamburgischen Bürgerschaft an. Von 1931 bis zur Machtübernahme der Nationalsozialisten in Hamburg am 8. März 1933 wirkte er als Präsident der letzten demokratischen Bürgerschaft. Während des Nationalsozialismus war er als Anwalt tätig und machte sich einen Namen durch die mutige Verteidigung von Kommunisten und Sozialdemokraten vor Gericht. Obwohl es ihm verboten war, als Strafverteidiger tätig zu sein, war Ruscheweyh so geachtet, dass er bis 1944 unter Auflagen weiter als Anwalt praktizieren konnte. Dennoch wurde auch er verhaftet und verbrachte mehrere Wochen im Gefängnis in Fuhlsbüttel.
Nach Kriegsende wurde er von den englischen Besatzungsbehörden zum Präsident der ernannten Bürgerschaft eingesetzt und hatte dieses Amt von Februar bis Oktober 1946 inne. Adolf Schönfelder (1875–1966) war ebenfalls Mitglied der SPD und saß von 1919 bis 1960 in der Bürgerschaft. Als die Nationalsozialisten die Macht ergriffen, trat er aus Protest von seinen Ämtern zurück. Nach dem Krieg wurde er 1946 der erste Präsident der gewählten Bürgerschaft und blieb bis 1960 in diesem Amt. In seiner Eigenschaft als Alterspräsident des Parlamentarischen Rates gehörte er zu den Vätern des Grundgesetzes. Die Verfassungsurkunde trägt seine Unterschrift. Wendet man den Blick im Raum nach oben, sieht man unterhalb der Decke ein Fries von Medaillons der Bürgerschaftspräsidenten von 1860 bis 1900. Bekannte Hamburger Namen tauchen hier auf: Mönckeberg, Hachmann, Baumeister und auch Johannes Georg Andreas Versmann. Versmann (1820–1899) war wohl der bedeutendste Hamburger Politiker des ausgehenden 19. Jahrhunderts. Er erlangte 1844 das Bürgerrecht und ließ sich als Anwalt in St. Pauli nieder. Den Ideen des Liberalismus war er Zeit seines Lebens zugetan und ließ sich für die Liberalen 1848 in die Hamburger Konstituante, einen Vorläufer der frei gewählten Bürgerschaft, wählen und war zeitweise ihr Präsident. 1859 wurde die Bürgerschaft erstmals gewählt. Diese Wahlen waren nicht in heutigem Sinne demokratisch, da das Wahlrecht an diverse Voraussetzungen geknüpft war, aber es war ein erster Schritt in die richtige Richtung. Johannes Versmann wurde ihr erster Präsident. Aus heutiger Sicht würde Versmann eher als sehr konservativ gelten; er vertrat auch in gewissem Maße die Interessen der erbgesessenen Bürger. Dennoch dachte er für seine Zeit fortschrittlich und stand den Forderungen nach mehr Bürgerrechten offen gegenüber.
Bis zu seinem Tode 1899 hatte er mehrfach das Amt des Ersten oder des Zweiten Bürgermeisters inne. Nach der Gründung des Deutschen Reiches 1871 war sein Verhandlungsgeschick gefragt. In langwierigen, zähen Verhandlungen mit Reichskanzler Otto von Bismarck versuchte Versmann, für Hamburg eine Lösung im Streit um Hamburgs erzwungenen Anschluss an das Zollgebiet des Deutschen Reiches zu finden. Er erreichte einen segensreichen Kompromiss und rang dem Deutschen Reich eine große Freihandelszone ab. Der Hamburger Freihafen, der zum Reichtum der Stadt erheblich beitrug, war entstanden.
Heute ist die Bürgerschaft eines von 16 Landesparlamenten der Bundesrepublik Deutschland und nimmt im Stadtstaat zugleich kommunalpolitische Aufgaben wahr. Seit dem 23. März 2011 ist Carola Veit (SPD) Präsidentin der Hamburgischen Bürgerschaft. Gemeinsam mit den Vizepräsidentinnen und -präsidenten sowie den Schriftführern, die sie vertreten und unterstützen, bildet sie das Präsidium. Die Präsidentin hat die Aufgabe, unparteiisch über die Rechte und die Würde des Parlaments zu wachen. Sie ist Repräsentantin der Bürgerschaft und ist Hausherrin der von der Bürgerschaft genutzten Räume des Rathauses. Das Amt des Bürgermeisters wurde bisher nur von Männern bekleidet. Das ist in der Bürgerschaft anders: 1987 eröffnete Elisabeth Kiausch den Reigen der Bürgerschaftspräsidentinnen. Carola Veit ist die siebte Frau in diesem Amt. (UL/CF)