Der nicht mehr gebrauchte Stall
Internationale Wanderausstellung im AIT-Salon
Die Ausstellung „Der nicht mehr gebrauchte Stall“ macht den Wandel der Landschaften am Beispiel von Stallbrachen in der Schweiz, in Österreich, in Italien und in Deutschland sichtbar. Während die Städte den Glanz der vergangenen Industriezeit in den alten Fabrikbrachen herausstellen, verfallen die Zeugen des ländlichen Zeitalters in den Alpen. Die Ausstellung zeigt, wie ähnlich und zugleich wie vielfältig sich der europäische Raum in seinen Stallbrachen darstellt. Die Entwicklung der Ställe ist ein Paradebeispiel dafür, dass Baukunde Menschen-, Volks- und Gesellschaftskunde in einem ist. Die Ausstellung beginnt mit einer Reise durch die „Stallzeit“, die als Periode der kargen Lebensverhältnisse gilt, zeigt dann die „Stallmoderne“ mit ihrem Anfang in den 60er Jahren und endet mit den „Stallutopien“. In Projekten wird aufgezeigt, wie landwirtschaftliche Brachen, Stadel und Scheunen neu genutzt werden können. Gerade in jüngster Zeit dreht sich die Diskussion um die Zukunft der Entwicklung in Alpengebieten auch um die Frage, wie Berggemeinden ihre Vitalität erhalten können. Wie entwickeln sich die zunehmenden Einflüsse der Freizeit- und Tourismusgesellschaft und der Zentren weiter? Die aktuelle Entwicklung, die durch die Globalisierung angetrieben wird, schwächt die Selbststeuerung der Gemeinwesen in den Bergregionen. Es gibt ganz klar eine Zunahme von Tourismusnutzungen, mehr Zweitwohnungen und mehr Freizeit- und Bodennutzungen. In der Folge werden die alpinen Gebiete zu Komplementärräumen der Metropole. Die alpinen Gebiete verlieren damit ihre vertraute Identität als Landwirtschaftsraum und als „Stallraum“. Der Ausdruck „Stall“ kommt von „stabulum“ (Standort, Platz). Im Tätigkeitswort „stare“ ist Stillstand in der Bewegung zu erkennen. Dem Objekt „Stall“ haftet der „Stallgeruch“ an, der für das Alte, Vergangene, Abgedrängte und Ausgemusterte steht.
Zugleich ist der „Stall“ aber auch ein Bild für existentielle Verhältnisse. Das Bild verweist auf die lebenswichtigen Tätigkeiten der Menschen, auf die Bearbeitung und Bewirtschaftung des Bodens, auf die „Landwirtschaft“ also, die betrieben wird, um Nahrung, Lebensmittel, zu gewinnen. Bis heute sind Wortverbindungen wie „Stalldrang“ und „Stallwärme“ geläufig. Man kann diesen Sprachgebrauch als Anzeichen dafür deuten, dass das Einfache und Archaische wieder an Attraktivität gewinnt. Am Beispiel von Ställen wird über die Gegenwart und ihre Entwicklung reflektiert – über dasjenige nachgedacht, was uns beunruhigt, weil Komplexität und Unübersichtlichkeit wachsen. Stallgeruch im Zeitalter der Hypermobilität, Stalldrang nach dem Einfachen in der Ära des Virtuellen und der globalen Beschleunigung – dieser Spannungsbogen fordert die Ausstellungsbesucher auf, Fragen zu stellen und Antworten zu suchen. Das Publikum soll sich in Veranstaltungen äußern können. Sozial-, Raum- und Architekturwissenschaft haben dabei nicht das letzte Wort, sind aber die Grundlage, um das Architektonische und das Gebaute mit den gesellschaftlichen Entwicklungen verbinden zu können. Die Resonanz an den verschiedenen Standorten der Ausstellung bestätigt, dass die Verunsicherung und die Monotonie der Siedlungsbilder in manchen Orten die kleine Welt der Dörfer, der Ställe und Scheunen in ein neues Licht rücken. In der Ausstellung werden Fragen aufgeworfen, die für die Entwicklung im ländlichen Raum brisant sind. Die Laudatio im Rahmen der Vernissage wird Prof. Dr. Hans-Peter Meier-Dallach (geboren 1944 in Quarten, Schweiz) halten, der das Institut culturprospectiv und World Drives Association, ein internationales Netzwerk zur Förderung der Forschung, leitet und Stiftungsrat der World Society Foundation ist. Er hat zahlreiche Forschungsprojekte im Bereich Regionen, Stadt und Kultur durchgeführt, verschiedene Publikationen verfasst und vermittelt mit thematischen Ausstellungen zwischen Wissenschaft und Öffentlichkeit.
Ein wichtiges Thema ist die Wirkung globaler Entwicklungen auf den alpinen und ländlichen Raum. Die Beobachtung und Aufarbeitung dieser Wirkung ist der Fokus für das Konzept und die Resonanz der Ausstellung „Der nicht mehr gebrauchte Stall“. Die Ausstellung löst die interdisziplinäre Suche nach Lösungen aus, die Architektur, Sozialwissenschaft, Raum- und Regionalpolitik und die Bevölkerung anspricht.
Kuratorium: Hans-Peter Meier (Zürich) und Susanne Waiz (Bozen)
AIT-ArchitekturSalon Hamburg,
31. Januar bis 6. März 2013
Öffnungszeiten: Di+Mi 11–17 Uhr, Do+Fr 11–20 Uhr, Sa 13–17 Uhr
Bei den Mühren 70
20457 Hamburg