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Die Ericusspitze
Die Ericusspitze

20 Jahre SPIEGEL ONLINE

SPIEGEL ONLINE startete am 25. Oktober 1994 – vor fast genau 20 Jahren. Damit war es das weltweit erste Nachrichtenmagazin, das den Weg zusätzlich zum Print- ins Onlinegeschäft gewagt hat – mit knappem Vorsprung von einem Tag vor dem US-amerikanischen TIME magazine.

Das „Sturmgeschütz der Demokratie“ war und ist damit auch abseits der Printausgabe ein Meilenstein und die Messlatte für Onlinejournalismus im Allgemeinen. Qualitätsjournalismus im Netz, eine schnellere Version der gedruckten roten Hefte sollte es werden und ist es geworden, ein gerne vorgeführtes Erfolgsmodell für die Zukunft der Medien. Und doch mussten die Medienmacher an der Ericusspitze auch einen Spagat wagen: weg vom lukrativen Werbegeschäft im Printbereich, hin zum eher volatilen und weniger ertragreichen Anzeigengeschäft im Internet.

Was der Onlineversion gut tut, schadet zeitgleich den gedruckten Heften – mit sichtbaren Folgen. Glich der SPIEGEL in seinen besten Zeiten vom Umfang her eher dicken Büchern, sind Auflage und Seitenzahl seit dem Siegeszug des Internets kontinuierlich geschrumpft. Zwar weitaus weniger als bei den meisten Konkurrenten, trotzdem geht die Krise der Printmedien an der Mannschaft im spitzwinkligen Gebäude in der HafenCity nicht vorbei. Intern wird gestritten: Print wehrt sich gegen den Bedeutungsverlust, Internet will endlich die Anerkennung, die ihm zusteht.

Mit rund sieben Millionen Besuchern pro Woche führt die Online-Version des SPIEGEL knapp vor der BILD-Zeitung, die Printausgabe erreicht inzwischen dagegen „nur“ noch sechs Millionen Menschen – Zahlen, die nur eine Momentaufnahme darstellen und sich in Zukunft kontinuierlich weiter zugunsten des Onlinegeschäftes verschieben werden.

20 Jahre SPIEGEL ONLINE – ein Grund zu feiern, aber ebenso ein Wendepunkt im Mediengeschäft. Grund genug, sich zu fragen, wie wohl das 25. oder 30. Jubiläum aussehen wird oder aussehen könnte.

Alte Elemente im neuen Gebäude
Alte Elemente im neuen Gebäude

Das Internet hat einen rasanten Wandel im Journalismus ausgelöst, im Printbereich wird immer mehr eingespart, für sogenannten unabhängigen Qualitätsjournalismus ist weitaus weniger Geld vorhanden. Werbung bestimmt das Geschäft, Onlinewerbung ist billig und mit völlig anderen Ertrags- und Erfolgsmodellen verknüpft. Bezahlschranken funktionieren nur bedingt, Google ist das Maß aller Dinge.

Eine ganz andere Art von Journalismus macht hier das Rennen um die Werbeerlöse. Die für die Werbung interessanten jüngeren Zielgruppen haben Text- und Videoblogger abonniert, die Stars der Szene verdienen inzwischen im sechsstelligen Bereich. Inhaltlich kommen natürlich auch in Unterhaltung verpackte Nachrichten vor, für die SPIEGEL ONLINE wahrscheinlich sogar die Recherche-Vorarbeit geleistet hat. Dessen Redakteuren steht aber eine eher ungewisse Zukunft bevor, der Prozess der Veränderung ist noch lange nicht abgeschlossen.

Die Informationshoheit der renommierten Magazine und Zeitungen schwindet zusehends und wird durch atomisierte Information ersetzt – durch Gerüchte, Meinungen und schlichte Unsinnigkeiten, aus denen sich der mündige Internetbürger die Informationshäppchen selbst heraussuchen muss. Die breite Masse der Nutzer kapituliert angesichts des Informationsüberflusses, sie tröstet sich mit Online-Katzen-Clips.

Und viel Flitter in der neuen Kantine
Und viel Flitter in der neuen Kantine

Chance und Risiko, die zukünftig zugleich eine Gradwanderung für jeden einzelnen Journalisten ist – mit ungewissem Ausgang für das persönliche Lebensmodell und die Gesellschaft insgesamt. Den SPIEGEL in seiner heutigen Form wird es dann möglicherweise nicht mehr geben, dafür aber hoffentlich ein neues Schulfach: Medienkompetenz. Im Zeitalter des Internet kommen die Informationen zunehmend direkt und ungefiltert vom Ort des Geschehens, tausendfach und ohne Bewertung – eine Aufgabe, die früher der Qualitätsjournalismus abfing und bewältigte, an der der unmündige Bürger aber möglicherweise scheitern wird.

Übrig bleiben Agenturen, die für ein entsprechend hohes Entgeld Unternehmen und Institutionen gefilterte und bewertete Informationen liefern – der zukünftige Arbeitsplatz heutiger Journalisten.