Ein Festival-Tagebuch

King Rocko Schamoni – der König begrüßt seine Anhänger (Fotos: Jonas Wölk)
King Rocko Schamoni – der König begrüßt seine Anhänger (Fotos: Jonas Wölk)

Harbour Front Literaturfestival 2016

  1. September, Ronja von Rönne auf der Cap San Diego

Heute Abend wird Ronja von Rönne aus ihrem Debütroman „Wir kommen“ lesen. Das steht jedenfalls im Programm. Doch von Rönne hat nicht so recht Lust auf ihr Buch: „Ich les’ einen anderen Text“, verkündet sie. Zum Beispiel den Text „10 fantastische Tipps gegen Schüchternheit“, der in ihrem Blog „Sudelheft“ erschienen ist. Und Texte, die im Oktober in ihrem neuen Buch „Heute ist leider schlecht“ veröffentlicht werden. Ein richtig günstiges Buch solle das werden, das überall in den Bahnhofsbuchhandlungen erhältlich sein werde; einen Bestseller, mit anderen Worten, plant die witzige und wortgewandte Autorin und Journalistin. Dann liest sie doch noch – wenn auch etwas widerwillig – aus „Wir kommen“, einem fiktiven Tagebuch, geschrieben für den Therapeuten. Ihre Texte sind witzig, auch wenn die Figuren unglücklich sind. Humor diene von Rönne zur Distanzierung. Und ist es nicht langweilig, dauernd tragische Betroffenheitsberichte zu lesen? Ist es. Und so hat das Publikum im Bauch der Cap San Diego einen amüsanten und bunten Abend mit einer jungen Autorin, die so gar nicht schüchtern ist.

 

  1. September, King Rocko Schamoni in den Hamburger Kammerspielen
Selbstkritisch und selbstbewusst – Ronja von Rönne
Selbstkritisch und selbstbewusst – Ronja von Rönne

Ein Heimspiel in den Kammerspielen „in Eppendorf“, und darauf besteht der König, der das erste Mal in diesem Stadtteil auftrete. Später wird Eppendorf dann noch Eimsbüttel zugeschlagen, aber das macht auch nichts, heute Abend ist alles anders. Rocko Schamoni gibt sich die Ehre, und seine Anhängerschar ist begeistert. „Dummheit als Weg“ ist das Motto des Abends, es geht um sprachdumme Menschen (Männer) und raumdumme Menschen (Frauen), es geht um Aufschnitt, der vierbeinig auf der Wiese steht und von Fell umwickelt ist – warum, wisse keiner so genau – und es geht um Beziehungen, die man heutzutage auf „Brücke – Schloss – fertig!“ reduzieren kann. Der Autor, der im Übrigen nur zwei Texte liest, lacht auf der Bühne genauso viel wie das Publikum: Allen ist klar, dass die Texte lustig, aber zum Teil echt schlecht sind, auch wenn ein großer Verlag samt Lektorat diese durchgewinkt hat, wahrscheinlich ungelesen – anders könne sich der Autor das nicht erklären, wie das jemals veröffentlicht werden konnte. Das ist auch völlig egal, alle haben Spaß, und erst recht, als Tex Matthias Strzoda die Bühne betritt und Musik gemacht wird: Coverversionen unter anderem von den Lassie Singers und FSK sowie als Zugabe den Klassiker „Tasse Kaffee“. Und da man keine Band mitbringen durfte, wird Musik vom Apple unterlegt, was nicht wirklich funktioniert – aber was an diesem Abend gewollt und was improvisiert ist, durchschaut längst niemand mehr, auch nicht die Protagonisten auf der Bühne. Eines steht fest: die Stimmung in „Eppendorf“ ist super!

  1. September, Sebastian Fitzek im Hamburg Cruise Center

foto-18-09-16-20-49-44„Passagier 23“ heißt der zuletzt veröffentlichte Thriller von Bestseller-Autor Sebastian Fitzek – und einen besseren Lese-Ort für ein Buch, das auf einem Kreuzer spielt, gibt es wohl nicht. Ein Gong ertönt, viel zu laut, das Publikum zuckt erschrocken zusammen – der Auftakt zur Lesung. Fitzek liest nur eine kurze Passage aus „Passagier 23“, in dem eine auf einem Kreuzfahrtschiff vermisste Person wieder auftaucht. Untermalt wird das Ganze vom Trailer zum Buch, professionell arrangiert wie für einen Kinofilm. 23 Personen verschwinden im Schnitt jährlich von Kreuzfahrtschiffen, sie werden meist als Selbstmörder abgetan – aber sind es wirklich Selbstmörder? Fitzeks Ideen liegen Erlebnisse zugrunde, die meist er selbst oder Freunde gemacht haben. In seinem neuen Buch „Das Paket“, das Ende Oktober erscheint, nimmt eine Frau ein Paket für einen Nachbarn entgegen – dessen Namen sie noch nie gehört hat, obwohl sie ihre Nachbarschaft gut kennt. Auch Fitzek nahm ein Paket für einen ihm unbekannten Herrn Kozlowski entgegen und malte sich dann aus, was da wohl drin sein könne, wer überhaupt der Empfänger sei, bis er sich selbst gruselte: „Ich kann mich ganz gut alleine beschäftigen“, so der Autor, dessen Bücher millionenfach verkauft wurden. Auch hier verspricht der im Cruise Terminal gezeigte Trailer ein spannendes Lesevergnügen.

 

  1. September, Schorsch Kamerun auf der Cap San Diego

Wie definiert man eigentlich eine „Lesung“, könnte man sich nach diesem Abend fragen. Nach genau 75 Minuten schaut Schorsch Kamerun in die Seiten und liest: allerdings nicht aus seinem Buch „Die Jugend ist die schönste Zeit des Lebens“, sondern die deutsche Übersetzung von Scooter-Texten. Das ist unterhaltsam, genauso wie der übrige Teil des Abends, an dem in bester Talkshowmanier geplaudert wird: Schorsch Kamerun teilt sich die Bühne mit DJ Booty Carrell vom Pudel Club und NDR-Moderator Peter Urban, es wird getratscht und geklatscht: über den ESC, Carlo von Tiedemann und Jürgen Hunke, der, so Kamerun, kein Buddhist, sondern ein Buddhisten-
freund sei und mit seinen Asia-Villen den Timmendorfer Strand verschandelt habe. Am Timmendorfer Strand ist Kamerun aufgewachsen. Gesungen wird auch, und anders als bei Rocko Schamoni funktioniert das hier mit der Musik-App. Ein „Artist-No-Go“ sei es, über seine eigenen Witze auf der Bühne zu lachen, was sein Freund Rocko tue – und an diesem Abend kommt Kamerun nicht gegen das No-Go an und lacht zusammen mit dem Publikum. Lesung geht anders, aber lustig war’s.           AF

 

Weitere Informationen unter www.harbourfront-hamburg.com