Ein italienischer Traum, eine italienische Wahrheit
„Braungebrannt kehrte ich eine Woche später nach Roccalba zurück und sah erstaunt in die grünlichen Gesichter meiner Familie. Als ich beim Abendessen bemerkte, dass Giorgio Bellusci fehlte, und fragte, wo er sei, erzählte meine Mutter mir eine Lüge: ‚Er ist weg und sucht sich Arbeit in Norditalien. Dann kann er der Nonna schön viel Geld schicken.‘ (…) Dann tat sie so, als müsse sie sich eine Strähne aus der Stirn schieben, und verbarg ihre feuchten Augen; woraufhin meine Großmutter sich in die Küche zurückzog und lautstark die Nase schnäuzte.“
Florian lebt mit seiner Familie in Hamburg. Doch jedes Jahr fahren sie in den Urlaub ins Heimatland seiner Mutter, nach Kalabrien in Italien. Dort lebt unter anderem sein Großvater Giorgio Bellusci, ein alter energischer Mann, der zielstrebig seinen Traum verfolgt: den Aufbau der alten Familienherberge, den Fondaco del Fico. Schon Alexandre Dumas kehrte dort ein und vergaß bei Belluscis Vorfahren sein Reisetagebuch. Giorgio Bellusci, der in seiner Schlachterei arbeitet, steckt seine ganzen Ersparnisse in die Herberge. Doch bevor der erste Spatenstich getan werden kann, hält eine schwarze Limousine vor der Tür. In Kalabrien herrscht die `Ndrangheta und fordert Schutzgelder ein. Der Großvater denkt nicht daran, zu zahlen – und es geschieht ein Unglück.
Doch weder Giorgio Bellusci noch seine Familie lassen sich einschüchtern – und kämpfen einen Kampf, der kaum zu gewinnen ist.
„Zwischen zwei Meeren“ ist eine wunderschön erzählte Familiengeschichte, die den Bogen in die Vergangenheit schlägt, in die Zeit, in der Dumas durch Italien reist und auf Giorgio Belluscis gleichnamigen Vorfahren trifft. Auch Florians Großvater reist durch Italien, zusammen mit dem deutschen Fotografen Hans Heumann, der durch seine Italienbilder Weltruhm erreicht. Später wird Giorgio Hans‘ Tochter heiraten – Florians Mutter. Zwei Großväter, die einerseits unterschiedlicher nicht sein können – der eine ein italienischer Schlachter mit derbem Humor, der andere ein weltberühmter Fotograf, der von einer Vernissage zur nächsten reist, so gleich sind sie sich in anderen Dingen: beide auf ihre Art respekteinflößend, willensstark und auch unnahbar. Abate versteht es, die unterschiedlichen Destinationen, das kühle Hamburg steht den heißen Sommern in Kalabrien gegenüber, bildhaft darzustellen. Der ruhige Vater, der in einer Bank arbeitet und sich auch nach Feierabend in seine Zahlen vergräbt, bildet das Gegenstück zu einer lebhaften italienischen Familie, die zu Weihnachten ihr traditionelles 13-gängiges Menü vorbereitet.
Und dann ist da noch das Fondaco del Fico, das oben auf dem Hügel zwischen den Meeren thront.
Eine faszinierende und feinfühlige Familiengeschichte, eine Hommage an Italien und an seine Bewohner.
Carmine Abate: „Zwischen zwei Meeren“ ist am 20. Juni 2014 im Aufbau Verlag erschienen. 235 Seiten, gebunden, 18,95€