Ein Jahr Elbphilharmonie – Konzerte für Ahnungslose?
Willkommen im Paralleluniversum
Jetzt ist es ein Jahr her, dass der Konzertbetrieb in den beiden Sälen der Elbphilharmonie startete und der Erfolg hat alle Erwartungen übertroffen. Weit mehr als eine halbe Million Besucher haben alle Arten von Musik gehört und erlebt, angefangen von den Einstürzenden Neubauten bis hin zu den Größten des Klassikbetriebes. Und für übernächstes Jahr hat sich sogar Weltstar und Sopran-Königin Anna Netrebko angekündigt, selbstverständlich ist das Konzert auch schon ausverkauft, trotz atemberaubender Preise.
Und da sind wir auch schon beim Problem: An der Situation im Kartenverkauf hat sich nicht substantiell etwas geändert, es ist immer noch wie Lotto spielen. Trotz der – zugegebener Maßen – sehr viel ausgewogeneren Methode der Verlosung der Karten bei den jeweiligen Vorverkaufsstarts, ist die Chance an Karten für genau das eine Konzert zu kommen, für das man sich wirklich interessiert, genauso hoch, wie vier Richtige im Lotto. Pünktlich zum Vorverkauf stürzen sich neben den wirklich Konzertinteressierten hunderte von Touristikunternehmen, Gastronomen und Hoteliers mit in die Verlosung, denn die Elbphilharmonie ist weltweit ein Geschäft, Packages aus Konzert und Reise verkaufen sich wie geschnittenes Brot. Und das, trotzdem Kontingente gar nicht erst in den freien Verkauf kommen, sondern an bevorzugte Touristikpartner abgegeben werden oder gleich ganze Konzerte von Reiseunternehmen organisiert werden. Eine Situation, die so etwas wie eine parallele Realität im Universum des Musikgeschäftes schafft.
Musiker, die es in den großen Saal schaffen, brauchen sich keine Sorgen um ihr Publikum zu machen, der Ausverkauf ist garantiert. Anfangs war es auch im kleinen Saal so, aber inzwischen ist dieser auf dem Weg in den Alltag, hier kann es schon mal dauern, bis ein Konzert ausverkauft ist. Herr, oder besser König über das ganze Paralleluniversum, ist Christoph Lieben-Seutter. Er und sein Stab haben mittlerweile eigentlich einen total langweiligen Job: Aus der langen Liste der Aspiranten brauchen sie nur noch auszuwählen, du ja, du nicht, du später. Der Betrieb ist eingespielt, außer den Hofberichterstattern ist eh niemand mehr übrig, der Kritik äußern könnte, ab und an kann man mal einer Serie von Konzerten das Etikett eines Festivals verpassen – und solange nicht jemand wie König Karl Lagerfeld das ganze System kurzfristig auf den Kopf stellt, ist das ganze Leben „easy peasy“.
Wie Lieben-Seutter so schön anmerkte: Es kann auch jemand auf der Bühne auf dem Kamm blasen oder seinen Namen tanzen, gefüllt ist der Saal so oder so. Und so kann man sich voll auf die kleinen lustigen Ränkespiele konzentrieren, wie auf den Chefdirigenten Thomas Hengelbrock und seinem Nachfolger Alan Gilbert und so einiges mehr, was gar nicht erst in die Öffentlichkeit dringt. Doch das ist natürlich Kollateralgeschehen, das Konzerthaus selbst ist für Hamburg das Beste, was passieren konnte und hat für die Außenwirkung und Bekanntheit der Stadt in der Welt Wunder gewirkt – genauso wie im Übrigen der G20-Gipfel. Und natürlich gibt es noch Wünsche: Wie wäre es zum Beispiel mit Sting im Großen Saal, eine ganze Woche, damit jeder etwas davon hat? Oder die Vorverkaufsverlosung mit einem Quiz zum jeweiligen Konzert koppeln, damit ernsthaft interessierte Fans zumindest eine bessere Chance haben?