Entdeckungen für Liebhaber
Kunst in Hamburg: 12 Spaziergänge
Freitag 6.30 Uhr: noch acht Stunden bis zum Besuch der Schwiegermutter und gerade genug Zeit, den Kühlschrank mit Bio-Lebensmitteln zu füllen, damit auch ausreichend dokumentiert ist, dass der geliebte Sohn sich in guten Händen befindet, und den Haushalt in einen Zustand zu versetzen, der die mangelnde Zeit zum Putzen erst auf den zweiten Blick verrät. Was jedoch tun, um es nicht zu diesem zweiten Blick kommen zu lassen? Die üblichen Sehenswürdigkeiten Hamburgs wurden schon bei den letzten Besuchen abgefahren und selbst einem schon lange in Hamburg ansässigen Bewohner sind nach Michel, Alster, Rathaus und HafenCity vielleicht die Ideen bald ausgegangen. Dabei, den Überfall so kurzweilig auszugestalten, dass kein Blick für Schwiegermutter bleibt, sich mit Kopfschütteln über die verborgenen Ecken des Haushalts herzumachen oder den Nachwuchs mit Süßigkeiten abzufüllen, um die Zeit so zu füllen, dass vor allem sie lange noch Zuhause davon erzählen könnte, braucht man Hilfe. Doch wozu wären Freunde da, wenn nicht von dort Hilfe zu erwarten wäre, diesmal in Form eines empfohlenen Buches: Kunst in Hamburg: 12 Spaziergänge.
Schnell ist in diesem Buch aus dem Junius Verlag auf 352 Seiten für jeden ein Spaziergang gefunden. Schwiegermutter liebt Kirchen, also schnell die Karte des entsprechenden Kapitels markiert und mit dem Buch unter dem Arm hinaus zur St. Jacobi Kirche. Hier beginnt die Führung durch fünf Kirchen, die in zwei Stunden gelaufen und je nach Interesse, Gläubigkeit oder Kondition auch um die dreifache Zeit ausgedehnt werden kann. Zu jeder Kirche findet sich in dem Führer ein Text, der einen kurzen Überblick der Geschichte des entsprechenden Ortes erlaubt. So ist es mit einem eifrigen Studium des Buches während der Besichtigungstour auch möglich, jedem unangenehmen Gespräch über den Nachwuchs oder die Karriere des Partners wahrlich aus dem Weg zu gehen und für den Abend prophylaktisch alle Wochenendbesucher für Haushaltsinspektionen oder ungeliebte Gespräche an der frischen Luft zu müde zu laufen. Nach dieser Erfahrung der Schwiegermutter-Bespaßung und der Unmenge an neu Gelerntem über Hamburgs Kirchen graut es einem nun auch nicht mehr vor dem Besuch des Jugendfreundes, der ständig nur über Skulpturen redet. Verblüffen kann man ihn mit dem Skulpturen-Spaziergang oder wahlweise einem Denkmal-Spaziergang, bei dem man dann, nach ein wenig Lektüre der Texte und einem guten Gedächtnis, auch endlich einmal selbst mitreden und mithalten kann. Und für alle ohne Schwiegermutter und anstrengende Jugendfreunde auf Hamburg-Besuch eignet sich der Design-Spaziergang. Oder wussten Sie, was man in einer Bäckerei auf dem Jungfernstieg entdecken kann beziehungsweise was es mit den Bushaltestellen in Hamburg auf sich hat? Das Buch ist absolut lesenswert und macht Lust auf einen hoffentlich bald folgenden zweiten Band, denn die Schwiegermütter und die Freunde lieben Hamburg, ebenso wie man selbst.