Gemeinsam auf der Spitze
SPIEGEL zeigt die Ericusspitze
Ganz so hatten sich Ove Saffe und Matthias Scholz die Pressekonferenz zur Vorstellung des neuen SPIEGEL-Gebäudes nicht vorgestellt: Statt gemütlich über die schöne Architektur und die tollen Zahlen des SPIEGELs zu parlieren, bissen sich die anwesenden Journalisten lieber an der noch defizitären Situation von SPIEGEL TV und der anstehenden Entlassung von Mitarbeitern aus den aufgegebenen Produktionen von Pocher und Kerner fest. Man merkte förmlich wie genervt die versammelte SPIEGEL-Mannschaft war und wie froh als es endlich an die anstehende Besichtigungstour durch das neue Gebäude gehen konnte. Schon der erste Eindruck ist einschüchternd: Durch ein 13 Stockwerke hohes Atrium – bis auf die Farben und die Höhe durchaus mit dem Atrium im Unileverhaus zu vergleichen – gehen kreuz und quer 13 Brücken und Treppen. Eine Mischung aus Hogwarts und Escher ergibt sich beim Blick von oben – teils schwindelerregend wenn man die gesamten 55 Meter bis zur Eingangsebene blickt. Dem Flurfunk nach soll es einige SPIEGEL-Mitarbeiter geben, die sich wegen Schwindelgefühlen überhaupt nicht wohl fühlen beim Gang über die Treppen.
Verglaste Fahrstühle verbinden an zwei Seiten die Stockwerke miteinander – die Fahrt ein beeindruckendes Erlebnis, genauso wie der Blick von oben in das Atrium – und vorstellbar, dass nicht jedermann sich bei so viel Höhe wohlfühlt. Trotzdem schon zu Beginn der Führung die einhellige Bewertung aller Journalisten: Das ist das stärkste Entree eines Gebäudes mindestens in der HafenCity, wenn nicht sogar in ganz Hamburg. Henning Larsen, der dänische Architekt des Gebäudes hat hier ganze Arbeit geleistet. Der Arne Jacobsen-„Lehrling“ hat auch die Oper in Kopenhagen gebaut und sich spürbar in der scharfen Bugform am nicht weit entfernten Chilehaus orientiert. Im obersten Stockwerk residiert die SPIEGEL-Online-Redaktion in einem der größten Newsrooms der Stadt – und doch ist er für das wachsende Online-Geschäft schon wieder zu klein und Chefredakteur Mathias Müller von Blumencron wirkt ein wenig ratlos bei der Frage nach wohin mit weiteren Redakteuren.
Der kundige Beobachter macht sich da weniger Sorgen, steht dich mit dem Ericus-Kontor nebenan durchaus noch die eine oder andere Bürofläche zur Verfügung. Der Blick der Online-Redakteure ist atemberaubend – aus dieser Höhe hat man die gesamte Stadt im Blick und im Notfall hilft das Teleskop – oder wahlweise das Internet – dabei die Perspektive zu erweitern. Ein Stockwerk tiefer sitzt SPIEGEL-Chefredakteur Georg Mascolo in der der Elbphilharmonie zugewandten Ecke und blickt den Brooktor- und Sandtorkai entlang direkt in einen der schönen Herbstsonnenuntergänge. Ein Logenplatz über der HafenCity. Den anwesenden Journalisten erklärt er das Klimakonzept des Neubaus – keine Klimaanlage mehr, kontrollierte Belüftung und eine vorgelagerte Glasstruktur die das Öffnen der Fenster ermöglicht – etwas was viele SPIEGELmitarbeiter im alten Gebäude vermisst hatten. Auch der Flurfunk hat zu dem Thema schon geäußert:
Die Heizung funktioniert noch nicht ganz so wie geplant, deshalb haben sich die geplagten Redakteure schon mit Heizlüftern ausgestattet und die Hälfte der Belegschaft schleppt sich erkältet an die Schreibtische. Ursache waren dem Vernehmen nach Experimente an der Heizung, die schließlich in einem Wasserrohrbruch und der Überflutung von zwei Etagen mündete. Nächste Station ist die mit Elementen aus der alten SPIEGEL-Kantine dekorierte, über mehrere Etagen reichende Snackbar. Verner Panton hätte sich sicher über die prominente Platzierung der Elemente im Guckkasten über dem Deichtorvorplatz gefreut – wie in einer Loge sitzt man hier inmitten der bunten Kachel und Lampen mit Blick auf Zollkanal und Highflyer. Die neue Kantine auf Platzebene ist dabei eher eine moderne nüchternere Version der Pantone-Kantine. Der von Peter Ippolito entworfene polygonale Raum wird von der aus tausenden matten und runden Spiegeln zusammengesetzten Decke beherrscht, die den Raum heller machen sollen und auch der Schallabsorption dienen.
Ein eigenständiger, ebenso wie das Atrium beeindruckender Raum ist entstanden, der sicher ebenso wie sein Vorgänger in Architekturbüchern Dauerpräsenz zeigen wird. Der Blick auf den teils öffentlichen, teils privatem Platzes geht in Richtung des zukünftigen Lohseparks. Der Platz wird durch einen Wassergraben geteilt – einem Burggraben gleich – der den Raum teilt und allzu neugierige Besucher daran hindern soll, den Redakteuren in der Kantine auf die Pelle zu rücken. In den neuen Studios wartet Moderatorin Maria Gresz auf die Journalisten – vor den komplett grünen Studiowänden und Boden muss sich auch die Frontfrau des SPIEGEL-TVs an die neue virtuelle Technik gewöhnen. Sie freut sich aber auf die neuen Möglichkeiten sagt sie. Mit den rund 1.100 SPIEGEL-Mitarbeitern füllt sich das nördliche Ende der HafenCity und Speicherstadt. SPIEGEL, Germanischer Lloyd, HPA, HHLA und viele kleine und mittlere Unternehmen beschäftigen dort zusammen fast 10.000 Mitarbeiter – ein wichtiger Wirtschaftsfaktor.
Nach Fertigstellung der Promenaden ist dann fast ein gesamter weiterer Bauabschnitt der HafenCity vollendet – nächsten Sommer wird man es dann sehen: pralles Leben rund um den Brooktorkai. Die alte SPIEGEL-Kantine ist inzwischen denkmalgeschützt und diente als Kulisse für zahlreiche Film- und Fotoproduktionen. „Wir freuen uns außerordentlich, dass wir mit der SPIEGEL-Kantine ein Zeitdokument der 60er Jahre ins Haus bekommen, das seinesgleichen sucht“, so Sabine Schulze, Direktorin des Museums für Kunst und Gewerbe Hamburg. „Als moderner Klassiker fügt sich dieses beeindruckende Design-Kunstwerk wunderbar in unsere lebendige Sammlung modernen und zeitgenössischen Designs, in der auch Verner Panton mit zahlreichen Entwürfen vertreten ist. Ab Sommer 2012 ist ein Großteil der Kantine als Rauminstallation für Besucher zu besichtigen und kann für private und geschäftliche Veranstaltungen gemietet werden.“