Harbour Front Literatur-Tagebuch, erster Teil
14.09.2017, Debütantensalon im Nochtspeicher
Der sechzehnjährige Lukas und seine Freunde leben in Berlin-Neukölln. Der Alltag ist geprägt von Armut, Perspektivlosigkeit, Drogen und Gewalt. Wer sich nicht wehrt, ist ein Opfer. Und das ist das Schlimmste, was passieren kann. Jemand, der Opfer ist, wird verprügelt, malträtiert und hat im Großstadtdschungel kaum eine Überlebenschance.
Eine „valide Alternative“ zum Drogendealen zwischen Schwarzen, Türken und Araber-Gangs im Park muß her, so die Idee der vier Teenager: die Schule hat neue PC’s bekommen – und diese zu klauen, ist ein reeller Plan.
Der Comedian und Autor Felix Lobrecht, 28 Jahre, ist selbst in dem von ihm beschriebenen Milieu aufgewachsen. Er spricht die Sprache der Gangs, trägt den Text authentisch vor und kann erklären, wie sich die Straßensprache entwickelt hat, die für ältere Semester befremdlich klingt: „Digga hast Du mal Spiegel geguckt?“ Bei Felix Lobrecht klingt das echt und auch noch humorvoll – trotz der Gewalt, über die er schreibt: „Sonne und Beton“ heißt sein Roman.
Lobrecht hat Volkswirtschaft in Marburg studiert, ein krasser Gegensatz zu seinem Leben als Jugendlicher in Neukölln. Seine Zeit beim Zivildienst, die er mit der Pflege von alten Leuten verbracht hat, habe ihm zu denken gegeben.
Auch Fatma Aydemirs Protagonisten leben im Berlin. Hazal ist siebzehn, Türkin und in Berlin geboren. Sie lebt zwischen den Kulturen ist auf der Suche nach ihrem Platz und „will ihr eigenes Ding machen“. Mit ihren Freundinnen fährt sie abends durch die Stadt und scheitert vor den Discotheken an den Türstehern. Zuhause scheitert sie an ihren Eltern. „Ellbogen“ heißt Aydemirs Roman. Und auch in diesem Buch geht es um Opfer und Wut.
Fatma Aydemir erhielt für ihren Roman den diesjährigen Klaus-Michael Kühne-Preis des Harbour Front Literaturfestivals.
16.09.2017 Cap San Diego
- Die UFA dreht einen Propagandafilm – einen Durchhaltefilm – für die deutsche Bevölkerung, in dem Deutschlands Sieg ausgerufen wird. Die Festrede im Film soll Propagandaminister Goebbels halten – die Rede ist bereits angekommen, der Propagandaminister nicht. Und so wartet man, nicht unglücklich, in der Heide auf den Minister. Denn würde man nicht diesen Film drehen und warten, wären Regisseur und Schauspieler an der Front und die Frauen in der Munitionsfabrik.
Der Autor Bernd Schroeder hat Goebbels-Zitate im Roman eingebaut. Historisches mischt sich mit Fiktion. Solle mal bei ihm zuhause eingebrochen werden, würden die Diebe meinen, sie seien bei einem Neonazi gelandet, so Schroeder. Sein Bücherregal beinhaltet 1,5 Meter mit Büchern über das Dritte Reich, Hitler und Goebbels. „Warten auf Goebbels“ ist wie ein Skript angelegt, was nicht verwunderlich ist: Schroeder ist Autor und Regisseur zahlreicher Fernseh- und Hörspiele, erhielt den Adolf-Grimme-Preis und den Deutschen Filmpreis.
Heute Abend treffen zwei Damen aufeinander, die sich sehr gut kennen und verstehen, das merkt man sofort: Doris Gercke, Autorin der Krimi-Serie Bella Block, moderiert. Hannelore Hoger, Hauptdarstellerin der Serie, liest aus „Ohne Liebe trauern die Sterne“. Es ist eine Autobiographie. Eigentlich liest Hannelore Hoger nicht, sie erzählt, schweift ab, erklärt, stimmt ein Weihnachtslied an und lässt sich von Gercke sagen, welche Passagen zu lesen seien. Abgesprochen ist hier nichts, hier wird improvisiert, was den Abend sehr amüsant werden lässt. Auch wenn der heißgeliebte Hund Flocki im Krieg gegen Kaffeebohnen verkauft wurde und die Bomben auf Hamburg fielen.