Harbourfront: Vampire im Duckdalben
Rettung in letzter Minute
Wenn es um den Hafen geht steht ein Veranstaltungsort beim Harbourfront-Festival ganz oben auf der Rangliste in Sachen Authentizität und reale Hafenatmosphäre: Der Duckdalben – der Seemannsclub der Deutschen Seemannsmission. Trotzdem wollte sich in der Redaktion kein Freiwilliger finden um über die dortige Lesung zu berichten – das angesagte Thema Großstadtvampire wirkt dann wohl doch eher abschreckend auf ernsthafte Literaturenthusiasten. Vor Ort scheinen sich die Vorurteile auch zu bestätigen. Das Publikum ist jünger und der Männeranteil höher als bei allen anderen bisher besuchten Veranstaltungen – trotzdem die erste Lesung die nicht ausverkauft ist. Vielleicht ist es aber auch ein wenig zu viel Abenteuer und Realität für das feingeistige Publikum der sonstigen Festivalevents – sich seinen Weg zwischen Van Carriern und LKWs im Schatten von Köhlbrandbrücke und Eurogate-Terminal zu suchen.
Boris Koch und Tanja Heitmann bestätigen dann mit ihren Parts alle Vorurteile über das zur Zeit vor allem bei jungen Mädchen angesagte Thema Vampire. Boris Koch bedient mit expliziter Sprache die Fantasien von – pubertierenden Mädchen? Einsamen Nerds? – schwer zu sagen – wirklich nur etwas für Fans. Tanja Heitmann schlägt da mehr in die „Twilight“-Kerbe – die Zielgruppe ist nicht schwer zu erkennen. Ich bin kurz davor zu gehen, da kommt Oliver Dierssen an die Reihe. Der 30-jährige Facharzt für Psychiatrie fesselt die rund 25 Zuhörer sofort – nicht mit Spannung sondern mit einem vollkommen unerwarteten komödiantischen Talent.
Dierssens Dämonen und Vampire sind nicht coolen Helden von Jungmädchenträumen sondern neurotisch, zwanghaft und verzweifelt – wie frisch aus der Psychiatrie entkommen. Im Zentrum des Geschehens steht Sebastian Schätz, der sein Leben ebenso wenig im Griff hat, wie die ihn verfolgenden Fabelwesen. Da ist Pjotr, ein Domowoj – russischer Hausgeist, mit Putzfimmel der sich bei Sebastian einnistet, sich in sein Leben einmischt und sich in Sebastians Angebetete verguckt, im Duckdalben wunderbar erzählt von Oliver Dierssen selbst – deckungsgleich in Konversation und Lesung. Wer mit Fantasy überhaupt nichts am Hut hat, für den ist das Buch immer noch nichts, bei der Lesung hätte er trotzdem seinen Spaß gehabt, auch weil man Sätze wie „Du wirst ein bisschen verrückt, Schätz, sagte ich zu mir. Eine Nacht durchgesoffen, abgestürzt und schon spielst du mit deinem Duschkopf.“ selten in Fantasy-Romanen findet. Also Rettung in letzter Minute im Duckdalben.