Kirsten Fehrs – eine Bischöfin auf der Brücke
Sie kommt dem Besucher so fröhlich und zugewandt entgegen, dass jegliche Anfangsschwierigkeiten eines Interviews in Sekundenschnelle weggewischt sind. Und noch mehr: Hamburgs evangelisch-lutherische Bischöfin Kirsten Fehrs (55), schafft es in aller Kürze eine große Nähe zu ihrem Gegenüber aufzubauen, sie strahlt Lebensfreude und Selbstsicherheit aus und einen Elan, der ansteckt.
„Ich habe schon immer gern die Leitungsfunktion übernommen“, sagt sie und lacht. Schon als Jugendliche im von ihr gegründeten Gospel Chor in Wesselburen in Dithmarschen, wo sie 1961 als Tochter des Bürgermeisters geboren wurde und mit zwei Schwestern und einem Bruder aufwuchs. Schon sehr früh kam sie durch den Chor mit der Kirche in Berührung und vor allem mit einer neuen Generation von jungen Pastoren. Dort lernte die Schülerin die intellektuelle Auseinandersetzung mit der Theologie, und sie lernte vor allem, ihre Meinung frei zu äußern und zu sich selber zu stehen. Der Wunsch der Abiturientin Theologie zu studieren, traf bei dem Vater, Jurist und Volkswirt, zunächst auf Skepsis: „Na, gut: Ein Semester geb ich Dir, …“
Er meinte es nicht ganz ernst, das wusste sie und verstand den Vater in seinen vorübergehenden Glaubensbrüchen auch: Zwei Weltkriege hat der 1907 Geborene miterleben müssen, den 1. Weltkrieg als Vollwaise in einer Kadettenanstalt, den 2. an vorderster Front. Seine äußeren Wunden hat sie als Kind gesehen, seine inneren konnte sie erst später erahnen – auch die der Mutter, die mit 22 Jahren mit einer Freundin auf einem Fahrrad aus Pommern floh und exakt am 8. Mai 1945 in Schleswig-Holstein ankam. Die Eltern waren vom Krieg geprägt. „Jede Art von Gewalt und Unfrieden war zuhause absolut verpönt“, sagt sie. Die Auseinandersetzung mit den Gräueln des Krieges hat in der Familie oft eine Rolle gespielt. Und so ist es sicher kein Zufall, dass auch ihre sieben Jahre ältere Schwester, inzwischen Präsidentin der Berliner Humboldt Universität, sich ebenfalls der sozialen Gerechtigkeit, allerdings auf dem Gebiet der naturwissenschaftlichen Forschung und des Klimaschutzes, verschrieben hat.
Kirsten Fehrs hat ihr Theologie-Studium zum Glück nicht aufgegeben. Ganz im Gegenteil: Schon während der Studienjahre in Hamburg engagierte sie sich ehrenamtlich in der Krankenhaus- und Gefängnisseelsorge. 1988 ging sie ins Vikariat ins heimatliche Schleswig-Holstein und traf in Lütjenburg ihren späteren Ehemann, der aus dem gleichen Ort stammt, in dem sich ihre Mutter und ihr Vater kennengelernt hatten. „Lütjenburg hat schon eine gewisse Bedeutung für unsere Familie“, schmunzelt die Hobbyläuferin, die trotz der hohen Arbeitsbelastung versucht, 40 Kilometer in der Woche zu schaffen. Nach verschiedenen Stationen im Kirchenkreis Rendsburg wurde sie 2006 Hauptpastorin an der Hauptkirche St. Jacobi in Hamburg und gleichzeitig Pröpstin des Kirchenkreises Alt-Hamburg. Seit 2011 ist Kirsten Fehrs Bischöfin des Sprengels Hamburg und Lübeck.
Die Positionierung gegen soziale Spaltung sah sie bereits bei ihrem Amtsantritt als eines ihrer zentralen Themen an. Das hat sich nicht geändert. Im Hinblick auf die Themen des G20-Gipfels bedauert sie, dass die armen Länder, die es betrifft, nicht mit am Tisch sitzen. Die Bischöfin ruft während des Gipfels zu Gewaltfreiheit auf und die gesamte Bevölkerung zu mehr Zivilcourage: „Es gibt zu wenig Menschen, die mit ihrer Haltung eindeutig zeigen, dass sie für die Werte unserer Demokratie und Gewaltfreiheit einstehen.“ Die Seelsorgerin fordert mehr Klarheit von der schweigenden Masse, mehr offene Diskussionen und weniger Zurückhaltung gegenüber jenen, die fremdenfeindlich und gewaltbereit auftreten. Die Kirche hat zum G20-Gipfel ein eigenes Veranstaltungsprogramm herausgegeben. Unter www.global-gerecht-gestalten.de kann sich jeder Bürger die Ver-
anstaltung(en) heraussuchen, bei der er sich in die Debatte um Gerechtigkeit, Frieden, Klimaschutz, größere Bildungschancen und bessere Gesundheitsvorsorge besonders für Frauen einmischen will.
Kirsten Fehrs hat ihren Arbeitsplatz seit fünf Jahren in der HafenCity und sie freut sich jeden Tag, dass sie „live und in Farbe“ mitbekommt, wie sich der Stadtteil verändert. „Es ist fast wie eine eigene Welt hier, in der auch die Kirche eine besondere Rolle spielt.“ Das tut sie auch im reformatorischen Jahr, gern Lutherjahr genannt: Am 30. Juni hält Kirsten Fehrs einen außergewöhnlichen Gottesdienst in den Deichtorhallen anlässlich der Bill-Viola Ausstellung mit dem Titel „Lebendiges Wasser“, am 29. Juli ist sie beim großen Reformationsfest „Ahoi Martin“ am Nordkirchenschiff im Sandtorhafen dabei und am 30. Juli lädt Kirsten Fehrs zum Abschlussgottesdienst der vierwöchigen Tour des Nordkirchenschiffs an den Magellan-Terrassen ein. Den großen Hamburger Schlusspunkt zum Reformationsjubiläumsjahr bildet am 31. Oktober ein Festgottesdienst mit Empfang in der Hauptkirche St. Michaelis, wobei sich die Bischöfin besonders auf den musikalischen Abschluss durch die Hip Hop Academy freut.
Bei all ihren Predigten zum Reformationsjahr wird sie ganz sicher immer wieder auf das Thema Freiheit, das für sie immer in Verbindung mit Nächstenliebe, Wahrhaftigkeit und Bildung steht, zu sprechen kommen. Diese zentralen Themen der Reformation immer neu zu vermitteln, ist der Bischöfin wichtig. Und sie tut es mit ihrer positiven Ausstrahlung nicht nur aus Überzeugung sondern auch mit Freude, ganz nach dem Motto eines ihrer Lieblingsbibelworte: Wir sind nicht Herren eures Glaubens sondern Gehilfen eurer Freude.