Living Bridge oder wie man ein Pferd von hinten aufzäumt
Ende der Diskussionsphase im Internet
Mit dem heutigen Ende der Diskussionsphase im Internet soll heute nochmal das Thema Living Bridge in einer persönlichen Aufarbeitung des Themas veröffentlich werden. Nachdem die dritte Phase der Diskussion keine wirklich neuen Erkenntnisse oder Bewegungen im Internetforum gebracht hat, hier eine Generalabrechnung zum Thema.
Meine erste Podiumsdiskussion
Als Redakteur sollte man ja eigentlich per se neutral über Themen berichten und nicht Themen beeinflussen, manchmal ist aber auch der Redakteur Bürger und darf als dieser Position beziehen. In dieser Eigenschaft als Bürger sollte ich dann auch das erste Mal in meinem Leben auf dem Podium Platz nehmen, Thema "Bürgerdiskussion Living Bridge". Inhaltlich durch diverse eigene Berichte und ordentliches Studium aller verfügbaren Texte gut vorbereitet ging es ins Kesselhaus. Hier die erste Überraschung bei der Vorstellung der Mitdiskutanten – alle, bis auf einen, vertreten die Contra-Living-Bridge-Position, und dieser eine war auch explizit wegen seiner Position eingeladen worden. Nächste Überraschung : Auch der Vertreter der Wilhelmsburger Seite ist gegen die Living-Bridge, und das auch noch mit der gleichen Argumentation wie die, die ich gedachte vorzubringen. Es war also, je nach Reihenfolge, damit zu rechnen, dass ich argumentativ umdisponieren musste, um nicht die gleichen Argumente nochmal vortragen zu müssen. Die Anweisung und Ermahnung des Moderators sich beim Vortrag seiner Argumente auf drei Minuten zu beschränken wurde schweigend entgegengenommen.
Internetdiskussion und Abstimmung
Nach einer kurzen Einführung durch den Moderator Markus Birzer führt dieser dann eine kurze demografische Erhebung der Anwesenden im Kesselhaus durch. Fragestellung: "Wer ist Pro, wer ist Contra, wer hat noch keine Meinung und wer hat beruflich mit diesem Thema zu tun ?" – Ergebnis : Ein drittel Pro, ein drittel Contra, der Rest unentschieden und mehr als die Hälfte Profis. Per Augenschein auch nicht anders zu erwarten, überraschend nur das sowenig HafenCity-Anwohner teilnehmen, trotz dass die Living-Bridge sie unmittelbar berühren wird. Bausenator Axel Gedaschko und Rolf Lührs preisen dann die Vorteile und Ergebnisse des Internetforums und der Internetabstimmung zum Thema an. Spätestens hier beginne ich am Gesamtverfahren zu zweifeln. Jeder der mit dem Internet zu tun hat und es sitzt auch der eine oder andere im Publikum der augenscheinlich ähnliche Vergleiche zieht, weiss das die angegebenen Zahlen eigentlich keinerlei Aussagewert haben. Ein Anmeldeverfahren, wo der Benutzer anonym bleiben kann öffnet dem Mißbrauch Tür und Tor. Selbst wenn verhindert wird, dass E-Mail-Dubletten vorkommen, ist heute ein Leichtes, sich soviele E-Mail-Adressen wie notwendig zu beschaffen. Und – auch heute ist die Teilnahme an dieser Art von Internetdiskussion immer noch eher ein Hobby elitärer Zirkel als anerkanntes Medium um Bürgermeinungen. Das Abstimmungsergebnis muss dann auch klar als Abstimmungsergebnis der aktiven Forumsteilnehmer und nicht als Bürgervotum tituliert werden. Korrekt ist also die Aussage das eine Mehrheit der abstimmenden Forumsteilnehmer sich für die "Living Bridge" ausgesprochen haben, aber weder eine Mehrheit der Forumsbesucher, noch eine Mehrheit der Bürger. In Zahlen: 151 von 492 Forumsteilnehmern haben sich in der Abstimmung für die Living Bridge ausgesprochen.
Top Down oder Bottom up ?
Spätestens jetzt wird es höchste Zeit die gesamte Diskussion mal vernünftig zu sortieren. Es ist wenig zweckdienlich, eher schon absurd, schon jetzt über den Namen zu diskutieren, so eine Diskussion führt nur zu Auswüchsen, wie wir sie im Kesselhaus erlebt haben – Stichwort "Amerikanische Verschwörung zur Verbreitung der englischen Sprache". Hier müssen Argumente dann auch gewichtet werden. Ein diffuses Gefühl von "Hamburg braucht mehr Leuchtturmprojekte" ist sicher nicht gleichwertig den Bedenken der Hafenunternehmen, die um ihre Existenz fürchten. Auch muß hier das gesamte Verfahren nochmal kritisch hinterleuchtet werden. Ebenfalls sinnlos ist die Diskussion alternativer Formate, bevor vernünftig erstmal die Grundsätzlichkeiten geklärt sind.
Totes Ende
Häufig genutztes Totschlagargument der Befürworter der Living Bridge ist die Behauptung, Teherani und Becken würden der Stadt gegen das Geschenk von zwei Grundstücken eine vierspurige Brücke für den Sprung über die Elbe und ein Leuchtturmprojekt schenken. Auch bei der Elbphilharmonie musste die Stadt erst von privaten Investoren von einer vernünftigen Lösung überzeugt werden. In diesen Behauptungen steckt zum Teil die Logik mit der Telefone und Drucker auch billig verkauft werden. Die Folgekosten und Nebenwirkungen sind so eklatant, das dagegen der Kauf eines Billigdruckers harmlos wirkt. Die Position der Brücke ist so ausgesucht, das maximale Länge erzielt werden kann.
Bei Unterstellung der Notwendigkeit einer weiteren Elbquerung westlich der Freihafenelbbrücken und östlich des Elbtunnels ist die Position der Living Bridge verkehrstechnisch einfach schlecht gewählt. In südlicher Richtung liegen Moldauhafen, Hansahafen, Hafenbahnrangierbahnhof und Spreehafen im Weg nach Wilhelmsburg, die Stadt müßte im Zweifel ein vielfaches an Kosten der Living Bridge für den Bau der nachrangigen Infrastruktur aufbringen, nur um auf der Nordseite noch auf ganz andere Probleme zu stoßen. Die Frage "Wohin mit dem ganzen Verkehr ?", den man jetzt mit viel Geld ermöglicht hat, dürfte dann nicht nur die HafenCity beschäftigen, sondern auch alle angrenzenden Stadtteile. Eine gerade Ableitung würde durch den Lohsepark in Richtung Oberbaumbrücke führen, den einzig größeren Grüngürtel für die HafenCity, und in ein Areal (Deichtorplatz), das heute schon verkehrstechnisch überbelastet ist. Und – überall Wasser, keine Strecke ohne teure zusätzliche Brückenbauwerke.
Sprung über die Elbe
Wie der Podiumsdiskussionsteilnehmer Maass griffig anmerkte, "Der Sprung über die Elbe muss in den Köpfen der Leute stattfinden", führt zu faktisch zur gleichen Disukussionsgrundlage wie die Diskussion über die Leitung der Verkehrströme. Einfach durch den Bau einer Brücke ist der Sprung über die Elbe nicht zu schaffen.
Hafen
Zu einem ist das Projekt aber immerhin zu gebrauchen: Die Sichtbarmachung des Zielkonfliktes zwischen "Sprung über die Elbe" und "Hamburg größter europäischer Hafen". Die Flächen um die es geht, sind zu einem großen Teil identisch und schließen einander aus. Wer Containerflächen und Terminals erweitern möchte, wer auch konventionellen Umschlagbetrieben noch eine Existenzberechtigung einräumt, muß auch dafür Sorge tragen, das genügend Flächen vorhanden sind. Bei den sowieso schon knappen Flächen im Hamburger Hafen sind Ratschläge, doch die Terminalflächen mehrstöckig zu bauen völlig fehl am Platz, wenn keine Anlegeplätze und Warteräume für Schiffe vorhanden sind. Durch den Bau der Living Bridge werden wichtige Hafenflächen und Becken einer sinnvollen Nutzung entzogen. Punkt.
Leuchtturmprojekt
Die Leuchtturmprojektargumentation ist leider auch nicht wirklich stichhaltig. Das Projekt ist groß, sehr groß – der ganze Komplex wird um die 700 Meter lang. Die Optik "sieht aus wie ein Containerzug auf einer Brücke", wie mehrere Zuschauer aus dem Kesselhaus anmerkten. Nun muß sich Hadi Teherani nicht verstecken, Dockland und Berliner-Tor-Bogen sind mit Sicherheit Meilensteine der Architektur, bei der Diskussion um die Living Bridge geht es aber nicht um Architektur, sondern um Stadtplanung, Hafenplanung und Verkehrsplanung. Stellen wir uns für einen Moment andere Standorte für die Living Bridge vor. Harmlose Variante für die Stadt, Hafen und Elbe:
Unmittelbar vor oder hinter den Elbbrücken. Becken und Teherani werden kontern mit den an diesem Standort schlechteren Verkaufs- bzw. Vermietungspreisen zumindest für den Teil der Brücke die den Elbbrücken zugewandt sein wird. Weiter elbabwärts ? Wohl kaum ernsthaft denkbar. Boshaft könnte man noch eine Wohnbrücke über die Außenalster vorschlagen, um die Sperren an der amerikanischen Botschaft zu umgehen, die hätte zusätzlich den Vorteil, dass Hadi Teherani sein Werk jeden Tag geniessen könnte. Der Verdacht liegt nahe, dass Becken und Teherani sich die einzig immobilienwirtschaftlich sinnvolle Stelle ausgesucht haben, aber um den Sprung über die Elbe ging es dabei nicht. Die Befürchtungen, dass ganze Projekte könnte zwar Leuchturmprojekt, aber nicht vermietbar/verkäuflich sein, entbehren ja nicht einer gewissen Grundlage. Im Großraum HafenCity entstehen in den nächsten Jahren eine unglaublich hohe Zahl an Ladenflächen und hochwertiger Wohn- und Gewerbeflächen. Ob diese tatsächlich wirtschaftlich vermarktbar sind ist mehr als zweifelhaft. Die Kosten dafür tragen aber nicht die Investoren, sondern über Abschreibungen die Steuerzahler.
Flächenentwertung
Ein weiteres Problem der Lage der Living Bridge ist der Schnitt quer durch die HafenCity. Die Flächen östlich werden durch den Bau schlecht oder gar nicht verkäuflich. Dies ist keine Behauptung sondern Fakt. Die Arbeitsgemeinschaft der Hamburger Baugenossenschaften, die am Baakenhafen 600 Wohnungen bauen wollen, günstiger Wohnraum der von allen Seiten gefordert wird, bescheiden der Living Bridge das Potential dieses Vorhaben zum Scheitern zu bringen. Kein Wunder, werden doch die östlichen Flächen dann zwischen Bahndamm, Freihafenelbbrücke, Versmannstrasse und Living Bridge förmlich eingequetscht.
Wie könnte es dennoch gehen ?
Unter Betrachtung aller Argumente ist die Living Bridge sinnvoll eigentlich nur als krönender Abschluß der HafenCity in der Nähe der Freihafen-Elbbrücke vorstellbar, kleiner, vielleicht nicht mehr so einmalig, aber dafür kein Störfaktor. Vielleicht ist das ganze Projekt aber auch für Hadi Teherani nicht mehr so wichtig. Publicity hat es genug gegeben und nun plant zudem für Duisburg ein ähnliches Projekt.
Zurück zur Diskussion
"Welche Diskussion ?" mögen sich Zuschauer die an der Veranstaltung teilgenommen haben fragen. Die eigentliche Veranstaltung war dann doch eher belanglos und bestand aus einer Reihe von Statements, die nur zum Teil auch wirklich ernstgenommen werden konnten – Ich erinnere an den Verschwörungstheoriker. Immerhin erstaunlich, daß immerhin zwanzig Teilnehmer nach Ende der Diskussion ihre Ansicht geändert hatten. Ob dies an der Diskussion oder an den zum ersten Mal öffentlich gezeigten Visualisierung lag, sei dahingestellt. Einen Höhepunkt hatte die Veranstaltung dann aber doch. Der Beitrag von Hans-Jürgen Maass, trotz dass er seine zugewiesenen drei Minuten hemmungslos um ein vielfaches überzog, hatte einen hohen Unterhaltungswert durch seine plattdeutschen Döntjes und kabarettistischen Einlagen und war dennoch griffig.
Hatte ich schon erwähnt, wie meine drei Minuten aussahen ? Meine drei Minuten bestanden aus einem total egoistischem Plädoyer gegen die Living Bridge, weil ich auch weiterhin große Schiffe an der HafenCity vorbeifahren sehen möchte. Und zwar täglich und nicht nur dann, wenn ein Kreuzfahrtschiff am Terminal festmacht. Und das ist nur dann möglich, wenn der Hafen Hafen bleibt, und nicht eine größere Mutation der Alster.