Mikrokosmos Seemannsheim
„Sie werden schon erwartet“, sagt der freundliche Herr an der Rezeption. Und schon stehe ich vor Felix Tolle, dem stellvertretenden Geschäftsführer. Willkommen im Seemannsheim am Krayenkamp.
Das Seemannsheim der Seemannsmission gibt es bereits seit 1958 und hat seinen Sitz am Fuße des Hamburger Michels, einen Steinwurf entfernt von der Skulptur der Zitronenjette. Zurzeit wird gerade renoviert: Das Treppenhaus wird erneuert, außerdem soll es bald überall WLAN geben. Die Flure wurden bereits gestrichen und leuchten apfelgrün.
Grünes gibt es heute auch zum Mittag, der Koch kredenzt Spinat mit Kartoffeln und Rührei. Und Pudding zum Nachtisch.
2014 verzeichnete das Haus 23.934 Übernachtungen von 3.573 Seeleuten. Im Fünf-Jahres-Vergleich zeigt sich deutlich, dass die im Seemannsheim verbrachte Zeit steigt. Im Schnitt bleiben die Seeleute 6,7 Tage.
Doch nicht nur Seefahrer übernachten hier, auch Touristen und Schulklassen sind willkommen und können in den 83 Zimmern logieren. Die Zimmer sind zwar einfach, aber sehr sauber und gepflegt.
Ein Einzelzimmer mit Bad und Frühstück kostet 53 Euro in bester zentraler Lage, und wer Glück hat, bekommt ein Zimmer mit direktem und perfektem Blick auf den Michel. Zwei Drittel der Zimmer stehen für Seeleute zur Verfügung, ein Drittel für andere Reisende.
Doch nicht nur Durchreisende übernachten im Seemannsheim. 45 Bewohner wohnen hier dauerhaft. Seeleute, die ihren Weg nicht zurück nach Hause finden; zum Teil haben sie auch kein Zuhause. Sie dürfen bleiben.
Spätestens jetzt wird klar, dass sich das Seemannsheim von einem normalen Hotel unterscheidet. Es geht familiär zu, man kennt sich, man hilft sich und ist füreinander da. Eine gute Nachbarschaft habe man hier, so Felix Tolle, auch mit dem Michel. Bevor wir uns getroffen haben, habe er noch einen Bewohner im Krankenhaus besucht. Felix Tolle ist seit fünf Jahren in der Geschäftsführung, vor zehn Jahren hat er hier bereits seinen Zivildienst geleistet – und ist gern zurückgekommen, nachdem er studiert hatte.
Neben den Angestellten gibt es auch ehrenamtliche Mitarbeiter. Eine Gruppe betreue auf dem Ohlsdorfer Friedhof die Gräber der Seeleute, für die es dort einen eigenen Platz gibt.
Die Mitarbeiter, die aus sieben Ländern von vier Kontinenten kommen, bieten auch individuelle Betreuung: 2014 wurden 270 psycho-soziale Gespräche und Gespräche mit Behörden geführt, 156 Behörden-Anträge gestellt und für 104 Seeleute eine Heuer gesucht. Bescheinigungen werden ausgefertigt und Lebensläufe zusammen mit den Seeleuten geschrieben. Oft sind Seeleute aus Ghana, Südafrika, Deutschland, der Schweiz, Österreich und von den Philippinen am Krayenkamp.
Alle zwei Monate finden Konzerte statt, dann wird die Verbindungstür zwischen dem Aufenthaltsraum mit der Bar und dem Restaurant geöffnet und die Räume zum Konzertsaal umfunktioniert. Der Seemannssonntag findet am Donnerstag statt – dann gibt es Kaffee und Kuchen. Auch Sommerfeste, Grillabende und Gottesdienste in einem eigenen Betraum sind fester Bestandteil im Seemannsheim.
Was viele nicht wissen: Das Seemannsheim ist nicht nur für Seeleute geöffnet, jeder kann zum Mittagstisch kommen oder zum Abendessen – das Menü ist auf der Website www.seemannsheim-hamburg.de einsehbar.
Wer mal eine besondere Übernachtungsmöglichkeit in Hamburg sucht, für den bietet das Seemannsheim eine interessante Alternative. Und interessante Gespräche abends an der Bar ergeben sich bestimmt auch.