Mit Büchern durchs Leben
Lesen ist für Jan Ehlert Lebenselexier
Er machte seine Leidenschaft zum Beruf: Jan Ehlert arbeitet seit 2007 als Buchkritiker für den NDR. Seit drei Jahren wohnt und lebt der 38jährige Journalist in der HafenCity. Hier hat Ehlert eine neue Heimat gefunden. Auch seine ständig wachsende Bibliothek, in der sich zur Zeit rund 10.000 Bücher befinden, hat in der Wohnung am Kaiserkai endlich den Platz bekommen, den sie braucht.
„Bücher gehören zu meinem Leben“ erzählt Ehlert. Seine Stimme kennen die Hörer, die den Radiosender NDR Kultur hören. Hier werden seine Buchbesprechungen regelmäßig gesendet. Als Moderator der Sendung „Klassik à la carte“ hat er zudem mehrmals im Monat bekannte Schriftsteller zu Gast im Studio. Zuletzt moderierte Ehlert Lesungen mit der indischen Bestseller-Autorin Arundathi Roy und mit dem Pulitzer-Preisträger Colson Whitehead.
Das Spannende spielt sich dabei oft jenseits der Bestsellerlisten ab: Denn Literatur ist für ihn nicht nur Unterhaltung. „Klar, manchmal braucht man einen guten Krimi, der einen vor Spannung den Atem anhalten lässt. Oder einen ergreifenden Liebesroman, der zu Tränen rührt. Auch das können gute Bücher sein“ gibt Ehlert zu. Wirklich gute Literatur kann aus seiner Sicht aber noch viel mehr. „Sie kann uns die Welt mit neuen Augen sehen lassen, uns neue Perspektiven aufzeigen für die großen Fragen unserer Zeit“ erläutert er. Das gilt nicht nur für Neuerscheinungen von denen er im Schnitt 15 bis 20 im Monat liest. Ganz besonders gilt diese Erkenntnis für die Klassiker der Literatur. „Nicht umsonst wird die Orestie von Aischylos, eine griechische Tragödie, die im Jahr 458 vor Christus entstand und das Rechtsverständnis vom Prinzip der Rache hin zur Rechtsprechung behandelt, noch immer am Theater aufgeführt“, so der passionierte Theatergänger, „… und Bücher wie George Orwells düsterer Zukunftsroman „1984“ werden nicht ohne Grund heute wieder erfolgreich neuaufgelegt“ ergänzt er besorgt, angesichts der aktuellen politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen.
Auf seinem Facebook-Blog www.facebook.com/jan.ehlert.kultur schreibt Jan Ehlert regelmäßig über die Tops und Flops des Literaturmarkts, über Buchpreisgewinner und bekannte Autoren. Für die Hafencity-Zeitung macht er sich in den nächsten Monaten auf die Suche nach den Werken, die uns unsere Welt besser verstehen lassen. Seien Sie gespannt. ν CF
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Literatur zur Lage
Jan Ehlert wohnt und lebt in der HafenCity. Seine Passion sind Bücher: Lesen, darüber sprechen und darüber schreiben sind seine Leidenschaft
Den Literaturnobelpreis soll ein Autor erhalten, der „das vorzüglichste Werk in idealistischer Richtung“ geschaffen hat – so hat es Alfred Nobel in seinem Testament verfügt. In den vergangenen Jahren wurde das ganz sicher nicht immer berücksichtigt. Im Fall von Kazuo Ishiguro trifft es aber zu: Er schreibt nicht nur unglaublich spannende, gut lesbare Romane, er mischt sich mit ihnen auch immer wieder ein in die gesellschaftlichen Diskussionen unserer Zeit.
Zum Beispiel mit seinem bekanntesten Roman „Was vom Tage übrigblieb“, der mit Anthony Hopkins verfilmt wurde. Die Hauptfigur ist ein Butler, Stevens, der das tut, was Butler – und leider viele andere auch – am besten können: Befehle ausführen, ohne über die Folgen nachzudenken. Als sein Arbeitgeber Lord Darlington beginnt, die Nationalsozialisten zu unterstützen, unterdrückt er alle Zweifel – und weigert sich auch nicht, zwei jüdische Angestellte fortzuschicken, vermutlich in den sicheren Tod. Ein großer Roman über die Frage nach Schuld, aber auch nach der Verantwortung jedes Einzelnen, sich im Angesicht von Unrecht nicht wegzuducken.Was den Wert menschlichen Lebens ausmacht, davon handelt ein anderer erfolgreicher Roman Ishiguros: „Alles, was wir geben mussten“. In dem Internat Hailsham wachsen junge Menschen auf, die geklont wurden, um eines Tages als Organspender anderen Menschen das Leben zu retten.
Ishiguro erzählt die Geschichte aus der Sicht dreier Freunde: Kathy, Ruth und Tommy. Sie scheinen ganz normale Jugendliche zu sein, schwärmen für Musik, schließen Freundschaften, verlieben sich. Doch ihrem Schicksal, eines Tages für andere geopfert zu werden, können sie nicht entkommen. In keinem anderem Roman, den ich kenne, ist die Debatte um die ethischen Fragen des Klonens so deutlich auf den Punkt gebracht worden. Und auch zur aktuellen Krise in Europa hat Ishiguro den passenden Roman geschrieben: „Der begrabene Riese“. Ein Fantasy-Abenteuer, das von Kritikern als „Game of Thrones mit Gewissen“ bezeichnet wurde. Tatsächlich: Drachen, Kobolde und sogar ein Ritter der legendären Tafelrunde tauchen darin auf. Die eigentliche Gefahr aber geht von einem dichten Nebel aus, der den Menschen ihre Erinnerung raubt. Kaum einer weiß noch, was er im letzten Sommer getan hat und erst recht denkt niemand mehr an die grausamen Schlachten, die vor nicht allzu langer Zeit das Land erschüttert hatten. „Der begrabene Riese“ ist hier ein Symbol für die Gewalt, die jahrhundertelang den europäischen Kontinent beherrscht hat und der aus naiver Neugier wieder aufgeweckt werden könnte. Auch wenn das Buch schon 2015 erschienen ist: Die Frage, was passiert, wenn wir die Vergangenheit vergessen und die alten Fehler wieder machen, ist aktueller denn je.
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