Nicht unter zu kriegen: 100 Jahre das Theaterschiff
Ein Kleinod liegt direkt vor unserer Haustür im Nikolaifleet. Europas einziges hochseetüchtiges Theaterschiff wird im Mai 100 Jahre alt.
Was einst 1912 bei der Diepen-Werft in Holland als schmucker Besan-Ewer unter dem Namen „Seemöve“ vom Stapel lief und mit seinen damals 20,19 Metern Länge als Frachtsegler die Elbe befuhr, ist heute nach diversen Umbauten und Namensgebungen als „Das Schiff“ bestens bekannt. Der Stahlsegler Seemöve fuhr mit seinem Eigner Jürgen Schröder aus Borstel im Alten Land Fracht bis hinauf nach Dänemark, doch Wind und Wellen verhinderten oft das pünktliche Ankommen. So wurde 1923 ein 35 PS starker Glühkopfmotor als „Windmaschine“ eingebaut. Langsam verwandelte sich das Schiff durch Verkleinerung des Segels in einen Motorsegler. 1929 wurde die Seemöve an Kapitän Wilhelm Raap aus Krautsand verkauft, doch dem wurde sie später zu klein. 1934 gab es den ersten großen Umbau, eine 100-PS-Maschine wurde eingebaut, der Mast- und der Klüverbaum fielen, es blieb nur noch eine Notbesegelung.
In einer Bombennacht im Zweiten Weltkrieg sank die Seemöve im Hamburger Hafen, wurde aber von Kapitän Raap geborgen und 1950 um 8 Meter verlängert und 60 Zentimeter erhöht. 1955 wurden noch einmal 8 Meter drangehängt und die Bordwand um noch einmal 60 Zentimeter höher gezogen. Die Seemöve war jetzt 34,50 Meter lang, 5,20 Meter breit und konnte 251 Ladetonnen tragen. Zwischenzeitlich wurde das Schiff an Familie Knoch aus Hemmoor verkauft und schipperte als kleines Frachtschiff über die Elbe, die Oste und umliegende Gewässer.
1965 benannte der neue Eigner Horst Funk die Seemöve in MS Rita Funk um, die unter anderem für Müllers Mühle Mehl nach Uetersen brachte. Doch auch die Rita Funk wurde zu klein und stand dann zum Verkauf. So wurde sie 1974 von dem legendären Eberhard Möbius und seiner Frau Christa entdeckt, die schon lange nach einem Schiff suchten, das fürs Theaterspielen geeignet war.
Der Kauf mit ordentlichem Presserummel war damals eine Sensation, und nicht wenige gaben den neuen Eignern mit ihrer spleenigen Theateridee keine Zukunft. 35.000 DM – damals viel Geld – legten die Möbius auf den Tisch. Seinen ersten Liegeplatz nach dem Kauf fand die Rita Funk übrigens im Grasbrookhafen, gleich mit einem polizeilichen Strafzettel über 160 DM „wegen Nichtführens einer Ankerlaterne“ bedacht. Der Grasbrookhafen war für die geplanten Umbaumaßnahmen nicht geeignet, und so verholte der Ex-Eigner Horst Funk das Schiff an seinen jetzigen Liegeplatz in den Nikolaifleet. Man musste ja auch bedenken, dass den Theaterzuschauern ein durch Wellenschlag unruhiger Liegeplatz nicht bekommen würde, da bot sich der verschlickte Nikolaifleet geradewegs an. An diesem Platz liegt das Schiff noch immer, schaukelt so gut wie nie und vergräbt sich auch ab und an in den Schlick. Dann bewegt sich gar nichts mehr.
Mutig und teilweise belächelt stieg am 3. Dezember 1974 die erste Bordparty für Sponsoren und die Presse. Als Vorbild die Flussschifferkirche im Kopf stand für Möbi und seine Frau bei der Garbers-Werft in Rothenburgsort eine nervenaufreibende und pannenbeladene Umbauphase an, die immer mit klammen Kassen einherging. Die noch heute dem Schiff gegenüberliegende Schiffsbeleihungsbank und andere großzügige Gönner steuerten viele tausend Mark bei, bevor Eberhard Möbius und seine Christa 1975 während der Kieler Woche ihr erstes Stück – ein Kindertheater – vor gerade mal zwei Zuschauern aufführten. Die Hamburger Premiere war am 13. Oktober 1975 mit schon viel mehr Zuschauern. „Ich spiele am liebsten direkt vor dem Publikum“, so Möbi damals und das ist auch heute noch so, kein Zuschauer sitzt mehr als 7 Meter von der Bühne entfernt, die 120 Sitzplätze sind im Halbrund aufgestellt.
Der Beginn des Kulturdampfers war für die beiden Möbis schwer, doch später spielten sie lange Jahre vor weit im Voraus ausverkauftem Haus, sprich Schiff. Illustre Schauspieler wie Gerd Fröbe, Heinz Reincke, Evelyn Künnecke, Senta Berger oder Peter Ustinov traten auf, Helmuth und Loki Schmidt saßen im Publikum. Doch die Möbis mussten dem Alter Tribut zollen und gaben im Jahr 2000 das Theaterschiff in die Hände ihres langjährigen Freundes und Mitspielers Gerd Schlesselmann, der damals auch am Deutschen Schauspielhaus am Hauptbahnhof arbeitete.
Das Schiff ist wie eh und je im Familienbesitz. Heute führen Gerd mit seiner Ehefrau Anke und die Söhne Heiko und Björn die Geschicke des Theaterschiffes. Mutter Anke zieht sich im Mai in den Ruhestand zurück und hat Heiko die Geschäftsführung übertragen. Vater Gerd pendelt zwischen Hamburg und Dresden, wo er noch das Theater im Wechselbad leitet. Björn Schlesselmann ist im Hauptberuf Leiter für Softwaretechnik, die auch die Abrechnung für Kreuzfahrtschiffe – unter anderem AIDA – entwickelt hat und betreut nebenbei die Nautik und die EDV. Vor fünf Jahren holte sich die Familie Michael Frowin als künstlerischen Leiter mit an Bord.
Natürlich mussten sich die Schlesselmanns nach Möbis Rückzug ein neues Publikum erarbeiten, jetzt sind die Stücke frisch und modern wie zum Beispiel die „DramaQueens“, in dem drei Frauen über ihren Alltag zwischen Blankeneser Schwangerschaftsgymnastik und Verehrern tratschen. Die Show wird am 4. und 5. Mai gespielt und ist ein Renner, Ende Mai beginnt dann das Jubiläumsprogramm. Vom 29. Mai bis 2. Juni gibt’s eine Jubiläumsshow mit Überraschungsgast, Sekt, Häppchen und Party, am 2. Juni startet am Steg ab 15 Uhr ein Sommerfest mit Gegrilltem, Wein und Musik, am 7. und 8. Juni noch mal „DramaQueens“, Abschluss ist am 9. Juni mit „außer man tut es“, einem Erich-Kästner-Programm. Für Kinder wird am 2. und 3. Juni das Konstantin-Wecker-Musical „Tamino Pinguin“ gespielt. Im Juni dampft das Schiff nach Zwischenspielen in Stade, Beidenfleth in der Stör und Brunsbüttel wieder gen Kieler Woche.
Nach der Rückkehr im August wird das Schiff die HafenCity besuchen und im Rahmen der Cruise Days einen Extra-Spieltag für die HafenCity-Bewohner, Hamburger und Touris einlegen. Ansonsten ist es wie vor zwei Jahren wieder als Bühne für Hamburg Eins gebucht. Termin und Programm stehen noch nicht fest und werden in einer der nächsten Ausgaben veröffentlicht.
Weitere Informationen gibt es unter www.theaterschiff.de oder telefonisch unter 6 96 59 560.
WM