Schneller Zug gegen Schlafwagen
Vollendete Tatsachen statt Diskussion im Oberhafen
Das Oberhafenareal ist von der Eisenbahn geprägt. Der Bahndamm der ehemaligen Pfeilerbahn trennt ihn von der restlichen HafenCity doch eigentlich gehören das Gelände rechts und links des heutigen Bahndamms zum ehemaligen Hannoverschen Bahnhof dessen unrühmliche Rolle in der Hamburger Geschichte hinlänglich bekannt ist. In den Jahren 1940 bis 1945 wurde der Bahnhof zum Deportationsbahnhof: Von hier wurden mindestens 7.692 Juden, Roma und Sinti in Ghettos und Konzentrationslager deportiert. Ab Juli 1943 wurden Gebäude und Gleisanlagen durch Bombenangriffe teilweise zerstört. Nach dem Zweiten Weltkrieg galt der Wiederaufbau des Empfangsgebäudes als nicht lohnenswert. Ab 1950 wurde der Bahnhof zum Hauptgüterbahnhof. Teile des Bauwerks wurden 1955 und 1981 abgerissen, die restlichen Schuppengebäude dienten Speditionszwecken. Die letzten Überbleibsel der Schuppen südliches des Dammes wurden 2008 in einer Nacht—und Nebelaktion beseitigt, einzig die Schuppen direkt am Oberhafen zeugen noch von der Vergangenheit als Güterbahnhof. Das Schicksal ihrer nördlichen Pendants blieb den Schuppen dank wachsender Öffentlichkeit erspart, das Oberhafenquartier soll jetzt unter Erhaltung der alten Bausubstanz als Kreativquartier entwickelt werden.
Die Schienenstränge allerdings sollen entfernt werden. Eine Idee von Jens Richter, Sebastian Libbert, Stefanie Kleschies und Klausmartin Kretschmer geht aber in eine ganz andere, dem Ort viel angemessenere Lösung: Die vier wollen die Schienen erhalten und mit dem ursprünglichen Charakter des Ortes spielen. Klausmartin Kretschmer hatte schon vor einigen Jahren die Idee die Gleise zu bespielen, mit Wagons in denen Ateliers, Gastronomie und Werkstätten an die Vergangenheit als Bahnhof erinnern. Diese Idee wurde von Sebastian Libbert und dem Oberhafen eV aufgegriffen und weiter entwickelt. Kleschies und Richter stießen zum Team und gemeinsam entwickelten sie das Konzept des Schlafwagen-Hostels, in dem in vier ehemaligen Schlafwagen-Wagons ein Hotel der ganz besonderen Art – wie es nur hier authentisch sein kann – entstehen soll. Eine Idee so bestechend und einfach wie eine Idee nur sein kann.
In Bonn und im schwedischen Lund ist bereits erfolgreich ein solches Konzept umgesetzt worden. So könnte der Beginn einer Erfolgsgeschichte aussehen, wenn das Gebiet nicht im Fokus des öffentlichen Interesses stehen würde und sich die verschiedensten Instanzen zu profilieren suchten. Eigentlich passt die Idee der vier perfekt in den derzeitigen Findungsprozess am Oberhafen, doch still und heimlich werden schon vollendete Tatsachen geschaffen. Ungewöhnliche Aktivitäten machten Libbert darauf aufmerksam das in dem dem Projektstandort angegliederten Schuppen etwas passiert. Auf Nachfrage stellte sich heraus das direkt am Eingang zu Oberhafen in den Schuppen ein Blockheizkraftwerk von Dalkia gebaut werden – kurzfristig und mit schon unterschriebenen Mietverträgen. Am Platz der Schienenstränge sollen Pelletsilos und ein Schornstein gebaut werden, die Versorgung mit Pellets über den Landweg erfolgen – und das direkt am einzigen Zugang zum Oberhafenquartier gegenüber vom Umspannwerk. Kreativer Abstellplatz für allerlei ungeliebte Infrastruktur statt Kreativquartier? Das ist deswegen auch besonders ärgerlich, da der geplante zweite Zugang über einen Tunnel von der U4 nicht realisiert werden soll. Schöne neue Welt der Scheinmitbestimmung – am Schluss macht doch die Stadt was sie will.