Soweit die Füße tragen
Von einem der auszog den Jazz zu lernen
Wie stellt man es an, über zwei Tage Konzertmarathon mit über 50 Programmpunkten zu berichten? Erster Tagesordnungspunkt: Einen Fahrplan machen! Die Grundidee: Persönlichen Geschmack mit Berichten von möglichst allen Spielorten zu verbinden. Also hingesetzt und aus der Fülle des Angebotes zehn Konzerte über zwei Tage verteilt angekreuzt. Blauäugig, wie es sich hinterher herausstellt, da keine Fahrzeiten eingeplant waren. Aber die Konzerte ein Superquerschnitt durch das gesamte Programm.
Am Freitag beginnt der Marathon mit den Marco-Polo-Terrassen und der NDR-Bigband. Ein Pluspunkt für die Planung: Dicken Pulli eingepackt, sonst hätte es Frostbeulen gegeben. Nach dem ersten Konzert gleich die erste dicke Delle in der Stundenplankarosserie: Marizas von vielen erwartetes Konzert beginnt mit 45 Minuten Verspätung und gefühlten fünf Grad geringerer Außentemperatur. Also nur die ersten zwei Stücke angehört und dann auf den Weg zur ersten Barkassentour an diesem Tag gemacht. Am extra vor dem Strandkai festgemachten Ponton fahren die Barkassen zu den jeweiligen Spielstätten ab. Die in Richtung Blohm + Voss ist schon voll und warten angesagt. Die Hilfe kommt von „Frau Hedi“ deren Fahrtziel eigentlich die „MS Bleichen“ ist. Der Decksmann – ein wilder Geselle, den man eher auf dem Wacken-Festival erwartet hätte – lockt die wartenden Jazz-Fans mit einem lakonischen „Nach der Bleichen geht es zu Blohm + Voss“ auf das wie für den Schlagermove geschmückte Schiff. Eine gute Wahl, ist doch die Fahrt mit amtlich lauten Brasilektro-Jazz eine Erfahrung für sich.
Später wird sich noch herausstellen, das „Frau Hedi“ unter den Barkassen für das nächste Festival durchaus Vorbildcharakter haben sollte. So geht es also über den Hansahafen zu dem geplanten Till Brönner Konzert. Bei der Ankunft – ich liege inzwischen schon eine halbe Stunde hinter dem Zeitplan zurück –die nächste Überraschung: Fußwege hätte ich auch einplanen müssen. So erreiche ich die Hauptbühne und Till Brönner kurz vor Ende des Konzertes. Die Stimmung auf dem Werftgelände entschädigt mich aber, genauso wie das ungeplante Konzert von Hamel, der jazzig angehauchte Popsongs liefert. Es geht inzwischen auf Mitternacht zu, höchste Zeit sich auf den Weg in die Katharinenkirche zu machen. Also wieder ab in die Barkasse, diesmal leider nicht die Hedi, sondern ein praktisches Salonschiff, bei dem eindeutig die Partystimmung fehlt. Macht nichts, angenehme Begleitung verkürzt die Fahrt.
Gerade noch rechtzeitig zum Beginn des Bugge Wesseltoft Konzertes geht es in die Katharinenkirche, die Füße inzwischen schon schwer und der Kopf voll. Aber das Konzert reißt nochmal alle mit sich. Am zweiten Tag beginnt das Festival-Programm früh, ich lasse mir aber Zeit. Der Sound der Bühne auf den Marco-Polo-Terrassen ist auch bei geöffneten Fenster klar zu vernehmen und der ersten Programmpunkt auf meinem Stundenplan findet erst nachmittags statt. Mit dem Fahrrad geht es auf die Veddel, zum IBA-Dock. Meine Erfahrungen mit den Barkassen lassen ein unabhängiges Verkehrsmittel ratsam erscheinen. Eine weise Entscheidung wie sich später herausstellt. Das Massoud Godemann Trio spielt modernen Gitarrenjazz vom Feinsten, die Atmosphäre auf dem Ausstellungshausboot der IBA auf dem Müggenburger Zollhafen ist super und es gibt Riesenstücke Torte und anständigen Kaffee – ein idealer Einstieg in einen zweiten Festivaltag. Das Fahrrad erweist sich als praktische Wahl als es sich herausstellt, dass die für die Festivalbesucher vorgesehene Barkasse schon weg ist. Die „Tokyo“ der Maritimen Circle Line rettet die gestrandeten Fans. Seit kurzem fährt die Linie auch das IBA Dock an, bei Bedarf und wenn man winkt.
Nächster Punkt auf der Liste: Kesselhaus. Klappt aber nicht, bin bei Nachbars hängengeblieben – also übernächster Punkt – wieder eine Barkassenfahrt, wieder Blohm + Voss. Auch dieser Barkasse hätte ordentlicher Musik gut getan, und auch hier wieder Verwirrung über das Fahrtziel. Diesmal ist die Zeit aber reichlich bemessen und ich erreiche pünktlich die Spitzenbühne bei Blohm + Voss um Deodato und das Hamburg Project zu hören. Eigentlich ist brasilianischer Jazz nicht mein Fall, aber das „Also sprach Zarathrustra“ ist ein Meilenstein, der niemanden unbeeindruckt lässt.
Auch Top: der anschließende Rest des Konzertes von Nils Wülker, der vor Manu Katché auf der Hauptbühne spielt. Bei Manu Katché schließlich beginnt der Stundenplan schon wieder eng zu werden. Die Masse an Zuschauern lässt nichts Gutes ahnen, wie es an der Barkassenfront bei Konzertende aussehen wird. Also vor dem Konzertende schon einmal in Richtung Barkassen abgesetzt, gibt einen Vorsprung vor dem Hauptfeld. Auf dem Weg in die Katharinenkirche zum Portico Quartett nur mal kurz einen Blick in das Stage Kehrwieder Theater werfen – so die Idee. In dem Speicher neben dem Miniaturwunderland ist das Programm komplett durcheinander geraten. Das eigentlich für 19:30 angekündigte Studnitzky Trio steht jetzt um kurz vor Mitternacht auf der Bühne – und nimmt mich sofort gefangen. Katharinen adé! Ähnlich geht es anderen Gästen, das plüschige Ambiente wie im Schmidts, die späte Stunde und die bequemen Sitze tun ihr übriges, hier soll es also enden – das Elbjazz-Festival.
Und: Lena hat gewonnen. Die SMS erreicht mich kurz vor Ende des Konzertes und macht den Tag perfekt. Für das Festival nächstes Jahr wünsche ich mir, dass der Weg zum Ziel gemacht wird. Super Idee, die Spielstätten mit Barkassen zu verbinden, aber auch sehr zeitfressend. Also rauf auf die Barkassen mit der Musik, Frau Hedi macht es vor!