Sturm an der Spitze
Der Spiegel in der Führungskrise
Es ist ein Problem der Medien in unserer Zeit: Wie überlebt Print trotz immer mehr wachsender Konkurrenz durch Internet und Digitalmedien. Sinkende Auflagen, Umfänge und Werbeerlösen lassen weltweit Zeitungen und Magazine am laufenden Band sterben. Bisher konnte sich der Spiegel diesem Trend leidlich entziehen, das Bild vom erfolgreichen Nebeneinander von Spiegel-Online und Spiegel wurde der Öffentlichkeit immer wieder präsentiert. Doch auch an der Ericusspitze hatte der Printbereich in den letzten Jahren schon ordentlich Federn lassen müssen. Wegen sinkender Werbeeinnahmen ist Umfang relativ zu den Hochzeiten des Spiegels inzwischen fast auf die Hälfte geschrumpft, und auch die verkaufte Auflage sinkt kontinuierlich. Die Online-Ausgabe hingegen ist seit Jahren an der Spitze der beliebtesten Nachrichtenseiten und erlöst mit den Werbeeinnahmen für Internetverhältnisse ganz anständige Einnahmen. Da liegt aber das Problem: Werbung im Internet im Vergleich mit Printmedien kostet einen Bruchteil und so ist die Wanderung der Leser von der gedruckten Ausgabe in die virtuelle Welt unterm Strich mit Umsatzrückgängen verbunden. Dass diese Tatsache zu Animositäten zwischen den beiden Bereichen führt ist klar, nicht anders als bei den Spiegelredaktionen Print und Online. Den Chefredakteure Georg Mascolo für die Print- und Mathias Müller von Blumencron für die Online-Seite ging es da nicht anders. Gerüchten zufolge gab es schon lange Differenzen zwischen beiden, die immer mal wieder zu heftigen Kontroversen sorgten, so dass die Spiegel-Geschäftsführung beiden schon Verweise erteilt hatten. Eine neue Eskalationsstufe erreichte der Disput Anfang April: Die beiden Chefredakteure Georg Mascolo und Mathias Müller von Blumencron wurden mit sofortiger Wirkung abberufen und beurlaubt. Offizieller Grund waren „unterschiedliche Auffassungen zur strategischen Ausrichtung.” Anlass der verschärften Krise soll eine Sitzung gewesen sein. Die Arbeitsgruppe, die ein neues Premium Paid-Content Konzept für Spiegel Online erstellt hatte, präsentierte laut Insidern das Konzept vor Geschäftsführung und Gesellschaftern. Dabei soll es zu heftigen Auseinandersetzungen zwischen den beiden Chefredakteuren Mascolo und Blumencron über den künftigen Kurs des Spiegel gekommen sein. Die Geduld vor allem der Spiegel-Gesellschafter war am Ende. Zu den Gesellschaftern gehören neben den Augstein-Erben Jakob und Franziska Augstein der Verlag Gruner + Jahr und die Mitarbeiter KG – eine einzigartige Konstruktion: Die Spiegel-Mitarbeiter KG ist Eigentümer von 50,5 Prozent der Anteile des Spiegel-Verlags und stellt damit eine einzigartige Beteiligung der Mitarbeiter des Verlages am eigenen Unternehmen dar. Die KG erwarb 1974 auf Betreiben des Spiegel-Gründers Rudolf Augsteins die Hälfte der Anteile des Spiegel Verlags. Die Mitarbeiter wählen seitdem Vertreter, die bei wichtigen Entscheidungen ein Mitbestimmungsrecht besitzen. Außerdem steht der KG und damit den Mitarbeitern 50 Prozent des Gewinns des Unternehmens zu. 1989 versuchte Rudolf Augstein, die Anteile der Mitarbeiter KG gegen ein Pensionsmodell zu tauschen. Dies wurde jedoch von den Mitarbeitern abgelehnt. Die Mitarbeiter KG und der Verlag Gruner + Jahr besaßen ein Vorkaufsrecht auf jeweils 0,5 Prozent der Anteile im Falle des Todes von Rudolf Augstein, welches sie 2002 wahrnahmen. Damit stieg der Anteil der Mitarbeiter KG auf 50,5 Prozent. Die 750 bis 800 Mitarbeiter sind somit „stille Teilhaber“ des Unternehmens und wählen die fünf Vertreter der Mitarbeiter KG. Zwei der Posten werden dabei von den 250 Redakteuren gewählt, ein Posten durch die 120 Dokumentare und Mitarbeiter des Archivs. Die Verlagsmitarbeiter wählen die restlichen beiden Posten. Bei der Entscheidung die beiden Chefredakteure zu beurlauben, spielte die Belegschaft also auch eine Rolle, vor allem die der Print-Abteilung, die an der KG maßgeblich beteiligt sind. Die Medienkrise im Kleinen und die Ericusspitze sturmumtost.
Seit heute ist die Nachfolge der beiden Chefredakteure geklärt: Wolfgang Büchner kommt von der dpa und übernimmt die Geschäfte. Büchner war vor seinem dpa-Ausflug schon einmal Chefredakteur von Spiegel-Online und könnte alle Anforderungen der Geschäftsführung erfüllen.