Substanz erhalten, Charakter wandeln
Kein gewöhnliches Frauenhaus
So ungewöhnlich das Konzept für das Haus gegenüber der Kibbelstegbrücke, so ungewöhnlich das Architekturbüro, das die Planung und die Umsetzung durchgeführt und beaufsichtigt hat: Laura Jahnke Architekten mit – wie auch nicht anders zu erwarten – Laura Jahnke als Kopf von zur Zeit neun weiteren Architekten mit Sitz direkt am gegenüberliegenden Rand der HafenCity. Korrekterweise müsste es eigentlich Architektinnen heißen, denn im neunten Stock im Kontorhaus am Großmarkt arbeiten zur Zeit ausschließlich Frauen. Nicht aus Prinzip, sagt Laura Jahnke, es hat sich so ergeben weil sie einfach die Erfahrung gemacht habe, dass Frauen ihre Fähigkeiten besser und ehrlicher einschätzen können. Bei Bewerbungsgesprächen mit Anwärtern sei es ihr schon passiert, dass Bewerber zwar mit dem Bau einer Landebahn in Dubai geprotzt hätten, zur verwendeten Betonsorte aber keinerlei Angaben machen konnten.
Also Frauen – durchaus ein Trend in der früher traditionell männerdominierten Bauwirtschaft. Frauen planen die Elbphilharmonie, Frauen leiten Bauunternehmen und Frauen verkaufen selbst die dunkelroten Luxusbaumaschinen die von allen Männern begehrt werden – inklusive sachkundiger Vorführung von elektrohydraulischen Bohrhämmern und überdimensionierten Bolzenschussgeräten – und Frauen bauen ungewöhnliche Häuser. Bestes Beispiel ist das Haus „Bei den Mühren 90“: An der Nahtstelle zwischen Altstadt und Hafencity wurde 1902 auf der Grundfläche von 64m² ein wunderschönes Stadthaus mit Backstube im Souterrain errichtet. Es ist das mittlere Haus eines Gebäudetrios, welches direkt an die Katharinenkirche anschließt.
Mit ursprünglich nur vier Vollgeschossen und einer Grundfläche von 64 m² ist es das kleinste der drei Gebäude. Die wirtschaftlichen Aspekte gaben den Ausschlag für eine radikale Entscheidung: 2007 wurde das Haus zum Abriss freigegeben und eine Baugenehmigung für ein zehngeschossiges Wohngebäude erteilt. Im Jahre 2007 erwarben die Haerder Liegenschaften das Haus mit dem Wunsch, das zum Abriss freigegebene Haus zu erhalten. Gemeinsam mit dem architekturverbundenen Bauherrn erarbeitete Laura Jahnke Architekten ein völlig neues Konzept: Die vier Vollgeschosse des Hauses und der Keller wurden, unter Erhalt des historischen Bestandes sowie der Raumstruktur, behutsam saniert, die Bestandsfassade aufgearbeitet, verlorene Elemente- wie Balkone- rekonstruiert. Gleichzeitig wurde das Haus in moderner Formsprache um 2,5 Geschosse aufgestockt. Vor allem die oberen Etagen mit großzügiger Glasfront bieten einen spektakulären Blick über Speicherstadt und Hafencity. Damit die Aufstockung überhaupt möglich war, mussten umfangreiche statische Unterstützungen geplant werden – kein einfacher Vorgang bei einer vorhandenen Bestandssubstanz.
Möglich wurde es überhaupt erst durch die großzügig dimensionierte Rückseite des Hauses, durch die früher die warme Abluft der Bäckerei geführt wurde. Ein aussteifender Fahrstuhlschacht bildet heute das stabile Rückgrat des Hauses und die moderne Infrastruktur. Die beiden oberen Stockwerke haben wahrhaft spektakuläre Fenster mit Blick auf den Zollkanal und die dahinterliegende Speicherstadt. Rund 400 qm Bürofläche sind so entstanden, die der Eigentümer am liebsten am Stück an ein besonderes Projekt vermieten würde. Für rund 20 Euro pro Quadratmeter ein echtes Schnäppchen für Unternehmen mit Geschmack. Das finden auch die Autoren des Hamburger Architekturjahrbuches: Das Objekt wird dort in der Ausgabe für 2011 erscheinen. Hier wurde mit viel Fingerspitzengefühl Baubestand erhalten und es entstand ein Gebäude das modernen Anforderungen standhalten kann. Zurück zu den Architektinnen in der Lippeltstrasse: Laura Jahnke ist daran gewöhnt viele Frauen um sich zu haben. Immerhin hat sie drei Schwestern – mit einer von ihnen arbeitet sie auch heute zusammen – und sie spielte früher in einer Fußballmannschaft.