Tage wie dieser
G20 in der HafenCity
Informationsveranstaltungen und mobile Stände der Polizei hatten im Vorwege des G20-Gipfels die HafenCity auf den Tag X vorbereitet, es wurde sogar gescherzt, gefühlt konnte der Freitag kommen, zwar unbequem aber durchaus nicht ungewohnt, es schien ein Tag mit einem Hauch von Abenteuer zu werden. Das, worauf die HafenCity nicht vorbereitet war, war, dass es sich beileibe nicht nur um einen Tag handelte, denn für besonders rund um die Elbphilharmonie begann der Gipfel schon am Dienstag davor, als Plaza und Besucherzentrum schon für die Vorbereitungen schlossen. Haufenweise enttäuschte Touristen kehrten unverrichteter Dinge um, sofern sie sich nach der ersten Demonstration am Sonntag überhaupt noch in die HafenCity getraut hatten. Spätestens am Mittwoch glich die HafenCity – und mit ihr die gesamte Innenstadt – einer Geisterstadt.
Die beginnenden Schleusungen der Delegationen waren nicht wie angekündigt nur lokal auf der Strecke geschehen, schon an den Elbbrücken und an den Zufahrten zur HafenCity ging nichts mehr. Der Weg für die Angestellten zu ihren Arbeitsplätzen war nur noch über die U-Bahn und mit dem Rad möglich, viele schafften es überhaupt nicht. Ein inzwischen ungewohntes Bild machte sich in der HafenCity breit: Leere Straßen, leere Fußwege – die HafenCity gehörte für ein paar Tage nur noch den Anwohnern und der Polizei. Vogelgezwitscher – und natürlich Hubschrauberlärm – waren die vorherrschenden Geräusche, statt Verkehrslärm. Eine interessante Erfahrung für Viele, merkt man doch durch das Fehlen von diesem Lärm erst, wie laut es normalerweise in der HafenCity ist. Zum ersten Mal seit langem mit offenen Fenster zur Straße schlafen, ohne den Lärm von nächtlichen Straßenrennen.
Das Gefühl von Urlaub wich spätestens ab Donnerstagabend dem Gefühl von Beklemmung. Die Polizeipräsenz nahm zu, die Geräusche von Polizeisirenen und Hubschraubern verdrängten die Stille. Verschärfte Verhaltensregeln für die Anwohner der Elbphilharmonie deckten sich nicht mehr mit den eher spaßigen Anweisungen der Informationsveranstaltungen und spätestens am Freitagmorgen, als die Gullydeckel verlötet wurden und Fangnetze und Scharfschützen sich an den Zugängen zur Elbphilharmonie postierten, wurde es klar, hier geht es mit tödlichem Ernst zur Sache. Wer sich nicht ausweisen konnte wurde mit polizeilicher Begleitung zu seiner Wohnung eskortiert, der gesamte Kaiserkai gesäumt von Polizisten, Radpanzern und Wasserwerfern. Spätestens jetzt wurde auch dem letzten klar, dass die Eröffnung der Elbphilharmonie nur die kleine Schwester dieser Tage war. Fahrzeugkolonnen jagten mit Höchstgeschwindigkeit durch die Straßen, schwer bewaffnete Hubschrauber hingen in niedriger Höhe über dem Kaiserkai. Die Mächtigen dieser Welt in der Elbphilharmonie und währenddessen draußen eine gespannte Atmosphäre in der viele noch schnell mit den Hunden spazieren gingen oder bei dem einzig noch geöffneten Bäcker einkaufen gingen.
Das Ende der Belagerung kündigte sich mit einem Fußgängerstrom aus Richtung Elbphilharmonie an. Die für das Konzert geladenen Gäste, zuvor mit Barkassen zum Konzertsaal gebracht, mussten zu Fuß ihren Heimweg antreten – darunter auch Senatoren und Konsuln. Den weiblichen Gästen waren aus Sicherheitsgründen kurze Kleider empfohlen worden, das Wetter spielte dankenswerterweise mit. Es folgte dass dann schon gewohnte Bild, Kolonnen mit Blaulicht verließen die HafenCity, im Dunkeln schwer zu erkennen wer oder was sich in den Fahrzeugen befand, deutsche Limousinen, gesichtslos. Gegen Mitternacht wurde es dann erkennbar bunter. Zunächst Putin in seiner russischen Staatskarosse, dann Trump in seinem amerikanischen Pendant, dem „Beast“ fuhren durch die Dunkelheit in Richtung Innenstadt, ein Moment Ruhe setzte ein. Eine Fußgängergruppe erschien auf dem Kaiserkai, der französische Präsident Macron und seine Frau inspizierten tatsächlich einen Teil der HafenCity, kehrten kurz in die einzig und eher zufällig geöffnete Werkstattgalerie von Lilia Nour ein und verließen dann ebenfalls die HafenCity. Auch am Samstag zeigte sich die HafenCity noch als Geisterstadt, geschlossene Geschäfte, nur wenige Touristen und gemeinsames Entsetzen ob der Ereignisse jenseits des Zollkanals. Erst am Sonntag kehrte zaghafte Normalisierung ein.
Möchte man ein Resümee für die HafenCity ziehen teilt sich das Ergebnis in zweierlei Maß: Für die Anwohner waren die Tage zwar unbequem und wer außerhalb der HafenCity arbeitet hatte seine liebe Not mit der Verkehrssituation, für Gewerbetreibende war es aber teilweise eine Katastrophe, für einige bedeutete der G20 fast eine Woche kompletten Umsatzausfall. Aussagen wie „Sie können am Freitag offen haben“ erwiesen sich im Nachhinein als zynisch, da an etlichen Stellen zeitweise niemand, inklusive der Angestellten, Zugang hatte und selbst akkreditierte Journalisten Schwierigkeiten hatten sich in der HafenCity zu bewegen. So rettete den Verbleib unseres Redaktionsteams im Kaiserkai einzig unser dortiges Redaktionsbüro, dass zeitgleich in unserem Büro befindliche NDR-Team wurde aber der Sicherheitszone verwiesen. Nun mögen all die Schwierigkeiten dem Umstand geschuldet sein, das niemand in Hamburg Erfahrung mit einer Veranstaltung in dieser Größenordnung hatte, und vermutlich geht der Lerneffekt auch in die Leere, da sich niemand in Hamburg nach den Ereignissen des G20 noch trauen wird etwas Gleichartiges in die Stadt zu holen, doch hätte man vielleicht die eine oder andere Fehlinformation vermeiden können.