Tagebuch eines Gefangenen
Mein Leben in der HafenCity. Von Jimmy F.
Was bisher geschah: Jimmy glaubt, dass er über hohes künstlerisches Potenzial verfügt. Gelangweilt liegt er auf dem Balkon, putzt seine Barthaare und grübelt darüber nach, ob er zuerst seine Autobiografie verfassen oder eine Karriere als Drehbuchautor beginnen soll. Währenddessen packt MaMa (Abk. für Mach Mal nicht so einen Wind) hektisch die wichtigsten Papiere, drei Beutel Katzenfutter und eine Zahnbürste zusammen …
MaMa ist immer so dramatisch. Gerade erzählten die im Radio etwas von einer Fliegerbombe, und schon fängt sie an, durch die Wohnung zu laufen und kreischend zu fragen, wo ich denn meinen Katzenkorb versteckt habe. Draußen wird es immer lauter, überall sind Sirenen und laute Stimmen. Dazwischen klingelt immer wieder das Telefon, MaMas Freunde wollen wissen, ob sie die neuesten Informationen über irgendeine Bombenentschärfung hat. Wie ungemütlich es plötzlich geworden ist! Gemächlich setze ich mich an mein Tablet PC, gebe die Worte „Fliege“ und „Bombe“ ein, lese ein paar Ergebnisse und fange selber an, zu kreischen! Mein Fell sträubt sich, und ich bin plötzlich doppelt so hoch und breit wie sonst. Unser Leben ist in Gefahr, versuche ich MaMa zu erklären, während wir beide durch die Wohnung laufen und alles zusammenpacken, was mir lieb und ihr teuer ist. Zum Glück habe ich für meine nächste Urlaubsreise einen Tropenhelm gekauft. Den setze ich jetzt auf und fühle mich sicherer. Auf der Suche nach einer Zuflucht beschließe ich, mich unter unseren Esszimmertisch zu legen; jetzt fühle ich mich doppelt so sicher.
Hier kann mir nichts passieren. Als MaMa versucht mich unter dem Tisch hervorzuziehen, weil wir evakuiert (evaku… was???) werden sollen, haben wir einen kurzen Diskurs, der damit endet, dass ich ihr einmal liebevoll aber kräftig in den großen Zeh beiße. Überzeugt von meinen starken Argumenten beschließt MaMa, sich auch nicht evaku… was auch immer zu lassen. Wir bleiben zu Hause! Ich bin ja schließlich kein Kriegsberichterstatter. Während MaMa ohne Helm auf dem Sofa sitzt, versuche ich sie durch lautes Schnurren zu beruhigen, während mir der Helm immer wieder ins Gesicht fällt. Es klappt: Ich schlafe ein, und sie wacht über mich! Am nächsten Tag erfahre ich, dass alle Häuser noch stehen und die Bombe weg ist. Ich bin mir sicher, dass ich durch mein ruhiges und beherztes Liegenbleiben erheblich zur Lösung des Problems beigetragen habe. Gern würde ich die Geschichte, wie ich MaMa heldenhaft von den fliegenden Bomben gerettet habe, meinem Freund Moby erzählen. Der hätte bestimmt eine Idee, wie wir daraus einen spannenden Kinofilm machen können. Leider geht es nicht. Der Kater, der mein Mentor war, ist in diesem Monat im hohen Alter von 23 Jahren gestorben. Ich vermisse ihn sehr … (JF)