Tagebuch eines Gefangenen
"Mein Leben in der HafenCity" von Jimmy F.
Was bisher geschah: Durch seine ausschweifenden Spaziergänge gewinnt Jimmy zunehmende Erkenntnisse über seinen Stadtteil. Nach Hause kommt er nur noch zum Essen und zum Schlafen und bekommt deshalb erst sehr spät mit, dass MaMa (Abk. für: Mach’ mal schnell meinen Fressnapf ganz voll!) eine Reise plant …
Nun muss ich mir auch noch einen Terminkalender kaufen, damit ich alle Einladungen meiner Fans eintragen kann. Zuletzt wurde ich eingeladen, um mit Schafen zu spielen. Ja, Sie haben richtig verstanden: Schafe! Das sind die Tiere, deren Job darin besteht, reine Wolle zu liefern. Sie kamen zum Boulevard, um sich das Ergebnis ihrer Lieferungen anzuschauen und um die Menschen kennenzulernen, für die sie sich die Wolle wachsen lassen. Da habe ich mich aber nicht lange aufgehalten, die Mädels waren sehr einsilbig und liefen immer weg, wenn ich sie – wie es in der HafenCity so üblich ist – zur Begrüßung küssen und drücken wollte. Also zurück nach Hause, essen, schlafen und darüber nachdenken, welche Art von Organizer für mich die richtige ist. Zu Hause angekommen, finde ich das Buch, in dem MaMa ihre Termine einträgt, und blättere es durch (Anm. der Red.: Jimmy, man liest nicht fremde Kalender, pass auf, dass sie Dich nicht erwischt!). Plötzlich stockt mir der Atem: MaMa hat einen Pass beantragt und eine Schiffsreise gebucht. Mit anderen Worten: Sie verlässt das Land! Sie verlässt mich!
Und sie macht es heimlich! Ich rechne schnell durch, ob ich mir die Wohnung auch allein leisten kann, und komme zu einer zerschmetternden Erkenntnis: Nein, ich kann es nicht. Ich armer schwarzer Kater! Vor Schreck fällt mir der Kalender aus der Pfote und auf der nun aufgeschlagenen Seite lese ich, dass MaMa doch nicht für immer weg bleiben will; sie fährt nur in den Urlaub. Das hat sie sich fein ausgemalt: Sie macht Urlaub auf der Queen Mary 2 und ich sitze zu Hause und langweile mich. Nichts da! Das ist doch dieses tolle große Schiff, das ich schon viele Male aus dem Fenster gesehen habe. Die Menschen am Kai und in den Nachbarwohnungen flippen immer aus, wenn das Schiff rein- und rausfährt oder hupt. Dann winken sie und freuen sich wie verrückt. Da will ich mit! Ich gehe ins Internet und buche für mich auch eine Kabine auf der Queen Mary 2, scheitere allerdings an der geforderten Kreditkartennummer (MaMa hat mir meine Kreditkarte nach den letzten Einkäufen am Boulevard weggenommen.). Also muss Plan B her: In der Zeitung habe ich vor Wochen gelesen, dass blinde Schiffspassagiere nichts bezahlen für ihre Reisen. Dazu brauche ich dringend eine Sonnenbrille, damit alle glauben, dass ich wirklich nichts sehen kann, und einen Koffer, in dem ich meine Salamistangen, meine Autogrammkarten und mein Katzenstreu transportieren kann, und dann gehe ich zum Kreuzfahrtterminal. Das kann ja nicht weit sein, weil ich das auch aus meinem Fenster sehen kann. Bis dahin kann ich aber noch ein paar Tage schlafen. Schnurr … (JF)