Tagebuch eines Gefangenen
„Mein Leben in der HafenCity“. Von Jimmy F.
Was bisher geschah: Durch die vielen Ausflüge, bei denen Jimmy seine Wohnumgebung erkundet, entwickelt er sich vom Sofatiger zum Freigänger. Dank einiger liebenswerter neurotischer Anwandlungen hält er sich für den Größten und vergisst, dass er eigentlich von MaMa (Abk. für: Mach Mal den Futterkarton auf und zwar flott) abhängig ist …
Jetzt ist es soweit: Ich bekomme Leserbriefe. Meine Fans schicken mir Grüße und Fotos. Letztens brachte MaMa leckere Futterdöschen mit nach Hause, die eine begeisterte Leserin ihr in die Hand gedrückt hatte. Mein Dank geht an alle meine treuen Fans, die dazu beitragen, dass ich so beliebt und erfolgreich bin. Bei all diesen Menschen will ich mich bedanken und habe mich entschieden, Autogramme zu verteilen. Eigentlich eine hervorragende Idee. Ich konnte nicht ahnen, dass das wieder zu Streit mit meiner Gefängniswärterin führt. Als ich mit MaMa über ein eigenes Büro, eine Sekretärin, einen dringend erforderlichen Dienstwagen und über Autogrammkarten verhandeln wollte, brach sie in hysterisches Lachen aus und fragte mich mit tränenden Augen, ob ich sie wirklich mit dem Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages verwechseln würde (Anm. d. Red.: Jimmy, sei doch nicht so gierig.
Verdiene doch erst mal eigenes Geld!). Ich war verwirrt, woher soll ich wissen, was ein Haushaltsausschuss ist, schließlich bin ich Künstler und habe von solchen Sachen keine Ahnung. Und ein Wochentag, der Bundestag heißt, kenne ich doch auch nicht. Also beschließe ich MaMa heulend zurückzulassen und Autogrammkarten kaufen zu gehen. Hier muss es ganz viele Läden geben, denn ständig kommt MaMa mit irgendwelchen Tüten nach Hause, auf denen HafenCity drauf steht. Klein-Henry, der süße Nachbarhund, der ständig muss, hat auch bereits angerufen und mir seinen „Türöffner“ (eigentlich heißt sein Herrchen anders) zur Verfügung gestellt.
Diesmal gehe ich rechtsrum, dahinten muss es irgendwo einen Boulevard geben, in dem ich alles kaufen kann, was ein aufstrebender Literat so braucht. Ich komme dabei an Läden mit bodentiefen Fenstern vorbei und kann mich darin spiegeln. Was sehe ich heute wieder gut aus! (Anm. d. Red.: Jimmy, der Erfolg steigt Dir zu Kopf. Werde bloß nicht auch noch arrogant!). Auf dem Boulevard angekommen, fällt mir sofort mein Kumpel Alfredo ein. Sie erinnern sich? Er ist Geschäftsführer auf dem Boulevard und betreibt ein Geschäft, in dem es alles für Menschen mit Handicaps gibt. Da ich keine Daumen habe, falle ich unter die Zielgruppe und frage dort nach Autogrammkarten und Stifte für Katzen ohne Daumen. Kein Problem, bestätigt mir Alfredo, es wird alles bestellt und in Kürze ausgeliefert. Als mein Sold (leckere Salamistangen, die ich als Lohn von meinem Herausgeber bekomme) nicht als gesetzliches Zahlungsmittel anerkannt wird, zücke ich MaMas Kreditkarte, und Alfredo kann den Bestellvorgang abschließen. Auf dem Rückweg betrachte ich mich wieder in den Schaufenstern und bin beeindruckt, aber auch ein bisschen hungrig. MaMa, öffne schon mal die Futterdose! (JF)