Tradition mit Temperament
Oberhafen-Kantine wieder geöffnet
Hausmannskost auf dem Teller – Kunst im Kopf: die Rialto- Gastronomen Tim Seidel und Sebastian Libbert bewirtschaften ab dem 7. Februar Hamburgs schrägsten Ort. Ihre Philosophie: den Geist der Tradition neu beleben. Das Gebäude-Ensemble rund um die Kultkneipe soll mittelfristig das Tor zu einer neuen Kunstmeile werden. Geschichte wiederholt sich: vor sieben Jahren übernahmen Tim Seidel und Sebastian Libbert das „Rialto“ in der Hamburger Neustadt. Das Restaurant liegt im Souterrain eines denkmalgeschützten Repräsentationshauses, dass der Architekt Johannes Grotjan 1886 fertig stellte. „Diese Räume haben eine eigene Seele und Energie, die es zu finden und kultivieren galt. Wir wollten einen Ort schaffen, der würdevoll mit der Architektur umgeht und die Gäste am eigenen Anspruch und der Ausstrahlung der Fläche vereint – durch gute Küche, Kunst, Musik, Personal und den Gästen eben,“ so Tim Seidel.
Jetzt kommt ein neues Haus mit bewegter Vergangenheit hinzu – die Oberhafen‐Kantine als letzte erhaltene „Kaffeeklappe“ in Hamburg. Die Betreiber sind sich der Zeitlosigkeit des Ortes bewusst und knüpfen an alte Traditionen an: norddeutsche Küche wie Labskaus und die Hamburger Weißwurst kommen auf den Teller, der handbetriebene Speiseaufzug ist wieder im Einsatz, Taxifahrer und Hafenarbeiter zahlen einen Euro für einen Pott Kaffee.
Desweiteren bleibt der ehemalige Wohnraum der langjährigen Wirtin Anita Haendel im 1. OG für alle Gäste offen, die Terrasse soll zu einem Sommergarten ausgebaut werden. „Ein Platz, an dem sich Menschen einfach wohlfühlen: Unkompliziert, erschwinglich und erlebbar,“ fasst Sebastian Libbert zusammen. In der angrenzenden Fläche, dem Zollamt, neben der Oberhafen‐Kantine entsteht ein Raum für Kunst und Kultur. Zum Auftakt sind Fotos und Texte von Anita Haendel zu sehen: die Ausstellung „Ein Pfund Hack auf drei Brötchen“ dokumentiert ihr Leben, das sie die meiste Zeit hinter dem Kantinenfenster verbracht hat. Es war gleichzeitig wie ein Logenplatz auf Hamburgs Geschichte. Zu der „Triennale der Photographie“ im April sind weitere Ausstellungen geplant.
Damit unterstreichen Tim Seidel und Sebastian Libbert den Anspruch, das Zollamt als neuen Schauplatz für Kunst zu etablieren und rücken nicht nur geographisch näher an die bestehende Museumsmeile heran. Ein Gang zum schrägen Haus lohnt sich immer, zumal die neuen Betreiber jetzt tatsächlich sieben Tage die Woche offen haben. Neben den OHK-Klassikern Kartoffelsalat und Frikadelle, Bratwurst und Bockwurst gibt es auch abseits von Rote Grütze Nachtisch zu entdecken. Das Verschleierte Bauernmädchen sagt nur Kennern etwas, dieser dänische Nachtisch ist aber durchaus eine Empfehlung statt Kuchen wert. Die Kombination aus geröstetem Pumpernickel, verschiedenen Kompottsorten und Sahne ist extrem lecker und allein schon deswegen lohnt sich der Ausflug in den Oberhafen.