Unterwegs durch Hamburg
Buchtipp: „ Straßenfotos. Hamburg um 1975“ von Thomas Henning
Ein Mädchen im dunklen Faltenrock und weißem Oberteil, eine Perlenkette um den Hals, die schwarzen Haare zu einem Zopf zusammengebunden, schaut frontal in die Kamera. An den Häuserwänden der Altbauten lehnen ihre Freundinnen und Nachbarn; ein kleiner Junge im Rollkragenpullover trägt einen gemusterten Kinderkoffer in der Hand. Auch er schaut, etwas kritisch, in Richtung des Fotografen.
Thomas Henning tauscht Anfang der 70er Jahre die Kunstschule Hamburg mit der Kaserne in der Provinz. Schon bald aber treibt es ihn zurück, und der zwanzigjährige Fotograf fährt immer häufiger nach Hamburg. Hier begibt er sich mit seiner Kamera auf Streifzüge durch die Stadt: die Schwarzweiß-Fotografien zeigen Menschen und Straßen einer vergangenen Zeit: ein Matrose posiert in der Wandelhalle des Hauptbahnhofs, ein alter Mann mit Einkaufstaschen wird durch die Scheibe eines Geschäftes fotografiert, der Portier des Hotels Vier Jahreszeiten lächelt in die Kamera, auf Sankt Pauli vergnügen sich die nackten Stripperinnen mit ihrem Publikum.
Es sind wunderschöne Aufnahmen, die Henning gemacht hat und in diesem Bildband zusammenkommen: auf einigen Fotos posieren die Fotografierten bewusst, auf anderen tauchen die Menschen als Teil – nicht als Mittelpunkt – ihrer Umgebung auf. Schnappschüsse wechseln sich mit voyeuristischen Portraits ab.
Jedes dieser Fotos spricht für sich – und so sind in diesem Bildband auch nur exakt 31 einleitende Worte Hennings’ zu finden:
„Im Bunker kaufe ich eine Packung Tri-X Schwarzweißfilme in Aluminiumdosen.
Eine schraube ich auf.
Öffne die Rückwand meiner Nikon F Photomic.
Lege die Filmpatrone ein und schließe die Kamera.
Jetzt bin ich Fotograf.“
Mehr Worte braucht es nicht; die Bilder erzählen ihre Geschichte und laden den Betrachter zum Verweilen ein.
Straßenfotos. Hamburg um 1975 von Thomas Henning ist im April 2013 im Junius Verlag erschienen. Hardcover / Euro 24,90