Vom ADC verlassen
Hoffnungsort der Kreativkultur, Hamburgs neuer Hotspot, Neuland
Die letzten beiden Jahre fokussierte sich die Kreativität Hamburgs Stadtplaner auf die Findung immer neuer Begriffe für das alte Bahnareal am Oberhafen, und eine Zeitlang wirkte es auf Außenstehende tatsächlich so, als wenn die Aufbruchsstimmung sich tatsächlich in Ergebnissen manifestieren würde: Das ADC-Festival machte den Oberhafen zum Hauptquartier, das Gängeviertel zog widerwillig in die alte Bahnmeisterei, es wurde nach Konzepten gesucht – mal gemeinsam mit den Akteuren, mal an den Akteuren vorbei. Unter dem vollmundigen Titel „Transformationsraum“ wurden insgesamt 6.000 Quadratmeter frei werdende Hallenflächen den kreativen Nutzern versprochen, fast hätte man den Eindruck gewinnen können, dass das pralle Leben in die teilweise sehr pittoresken Flächen zwischen Bahndamm und Hafenbecken einziehen würde. Die Realität 2015 sieht ein wenig anders als erwartet aus, fast scheint es so als wenn der Berg kreiste und eine Maus gebar.
Das ehemals komplexe Molekül Oberhafen ist in Elementarteilchen zerfallen, jeder ist für sich beschäftigt, und nur in Ausnahmefällen ist die breite Öffentlichkeit gewünscht. Fast scheint es so, als hätte die Stadt die Kreativität zu Tode organisiert. Smart soll die Stadt jetzt sein, Kreativität ist der Bürokratie doch zu anstrengend und zu wenig dingfest zu machen. Man könnte es auch anders nennen: Der Oberhafen wird zu Tode kuratiert. Ernstzunehmende Interessenten, denen zu viel wirtschaftlicher Sachverstand unterstellt wird, werden abgeschreckt, kreative Subkultur zieht sich lieber in weniger überwachte Stadträume zurück, übrig bleiben einige unentwegte Oberhafenenthusiasten und Flächen, die genau wie vor fünf Jahren immer noch ein leichtes Gruseln in der Dunkelheit auslösen. Das derzeitige Vorzeigeprojekt des Oberhafens, die Hanseatische Materialverwaltung, feierte gerade ihr zweijähriges Bestehen und morste zeitgleich ein Mayday in die Öffentlichkeit: Es wird für die Fortsetzung der Arbeit Geld benötigt, das über eine Crowdfunding-Kampagne eingeworben werden soll. Andernfalls drohe das Aus zum Jahresende. Die Startfinanzierung der Stadt ist vor Kurzem ausgelaufen, der gemeinnützige Fundus, der ausrangiertes Material, hochwertige Requisiten und Bühnenbilder großer Theater und Filmsets, die bisher einfach weggeschmissen wurden, rettet, gibt diese kostengünstig an gemeinnützige Projekte und Schulen weiter – ein Geschäftsmodell, das weltweit viel Resonanz eingebracht hat, aber wirtschaftlich realistisch nur mit öffentlicher Unterstützung existieren kann.
Wie in Hamburg üblich, überlasst die Stadt die Akteure nach der Medien- und Stadtmarketing-wirksamen Startphase ihrem Schicksal. Stark im Kommen ist dagegen die Halle 424 der beiden Fotografen Jürgen Carstensen und Günter Klein. Seitdem diese begonnen haben, ihre Studios in der Halle 4 für Konzerte und Ausstellungen zu öffnen, entwickelt sich der Ort immer mehr zum kulturellen Fokus der Entwicklung des Oberhafens. Kluge Kooperationen mit dem ELBJAZZ Festival und anderen lokalen Akteuren, ohne gleich den wirtschaftlichen Aspekt aus den Augen zu verlieren, zeigen das Potenzial, das in den alten Hallen des Bahngeländes stecken könnte, wenn mal ein wenig mehr agiert als kuratiert würde. Die Veranstaltungen werden angenommen, wohl auch, weil abseits der Subkultur der etablierte Kulturbetrieb durch die Veranstaltungen angesprochen wird – Jazz und Klassik lassen auch Menschen ohne Aktivistenhintergrund den Weg in die eigentlich stadtnah gelegenen Flächen finden.
Eine solche Aussage lässt sich nur schwerlich über das hintere Ende des Oberhafens mit der alten Bahnmeisterei treffen. Für den normalen Hamburger haben sich die Flächen eher zur No-Go-Area entwickelt, ganz anders als das Gängeviertel selbst, das sich inzwischen als fester Anlaufpunkt für halbwegs mutige Touristen in der Innenstadt auf die Stadtagenda gemogelt hat. Nun mögen Kritiker einer solchen Argumentation einwenden, dass die Einladung des Bürgertums mit kreativen Freiräumen eben nicht beabsichtigt wäre, dieselben Kritiker nörgeln aber auch über chronische Unterfinanzierungen. Die gesunde Mischung macht einen überlebensfähigen Ort aus, und nicht zuletzt fokussiert sich das öffentliche Interesse so auf das Gängeviertel, weil sich dort der Kontrast aus Kommerz und Kreativität auf engstem Raum manifestiert. Der gleiche Ort in Bergedorf oder in den Walddörfern würde nicht funktionieren und polarisieren. Nicht nur die Stadt, sondern auch die Kreativszene muss deswegen „smart“ werden und darf sich nicht dogmatisch in die Schmollecke zurückziehen.