Vor Ort im Gespräch
Die 1. Vorsitzende der Flüchtlingshilfe Harvestehude Hendrikje Blandow-Schlegel spricht mit der HafenCity Zeitung über Werteabwägungen, ihre Arbeit als Bürgerschaftsabgeordnete und über die Vorteile von ehrenamtlichen Engagement.
„Wir haben kein Flüchtlings- sondern ein Organisationsproblem“ weiß Hendrikje Blandow-Schlegel (54). Die Anwältin mit Schwerpunkt Familienrecht hat Erfahrung in der Flüchtlingshilfe. Bereits als Jura-Studentin setzte sie sich für die Unterbringung der Flüchtlinge ein, die während des Balkankrieges Schutz in Hamburg suchten und gründete die „Initiative Containerdorf Loogestraße“. Als 2013 bekannt wurde, dass in dem ehemaligen Kreiswehrersatzamt der Bundeswehr in der Sophienterrasse in Harvestehude eine Flüchtlingsunterkunft entstehen soll, ergriff sie erneut die Initiative und gründete mit anderen Akteuren aus dem Stadtteil einen Verein, der sich heute nicht nur für die Flüchtlinge vor Ort engagiert, sondern auch eine Jobbörse gegründet hat, die interessierte Arbeitgeber und Flüchtlinge hamburgweit zusammenbringt und andere Ehrenamtlichen, wie den Initiatoren der Flüchtlingshilfe in der HafenCity, beratend zur Seite steht.
Für die 1. Vorsitzende der Flüchtlingshilfe Harvestehude ist ihr ehrenamtliches Engagement auch eine Frage der Perspektive. „Wenn wir uns in die Situation hineinversetzen, die Krieg, Flucht und Armut bedeuten, dann fällt die Antwort nach dem Warum zur Hilfe nicht schwer. Und unser Friede ist wunderbar, aber nicht selbstverständlich“ gibt die SPD-Politikerin, die 2015 in die Hamburger Bürgerschaft gewählt wurde, zu bedenken. Anders als in den 90er-Jahren, in denen die Stimmung für die Helfer noch mehr mit persönlichen Angriffen verbunden war, erlebt sie heute eine breite Unterstützung in der Bevölkerung. „Es gibt tatsächlich eine kleine aber sehr laute Minderheit, die sich gegen die Hilfe für Flüchtlinge ausspricht. In unserer Gesellschaft herrscht bei Vielen aus unterschiedlichen Gründen eine subjektive Verunsicherung und auch die Sorge vor einem Verfall des eigenen Grundstückswerts ist erst einmal nicht verwerflich. Am Ende muss sich aber auch jeder seiner persönlichen sozialen Verantwortung stellen und eine Abwägung der Werte für sich vornehmen“, so Blandow-Schlegel, die eine Hauptaufgabe der Politik darin sieht zu informieren, zu vermitteln und aus diesen Erfahrungen Politik zu gestalten. Mit Olaf Scholz ist sie sich darin einig, dass „man die AFD enttarnen muss“ und, dass es keine einfachen und schnellen Lösungen gibt, wie oft von den Wählern gewünscht.
Aber auch die Medien, die häufig skandalisieren und zu selten über das Positive berichten, sind aus ihrer Sicht in der Pflicht. Und dass vieles gut läuft, erlebt sie im eigenen Stadtteil: „Das Zusammenleben mit den Flüchtlingen funktioniert. Der Spielplatz ist ein friedlicher Ort, die Teestube, die Fahrradwerkstatt und die Kinderstube sind sehr beliebt. Die Kinder besuchen alle die Schule oder Kindergärten und selbst die Mülltrennung gelingt“. In der Begegnung von Menschen unterschiedlicher Kulturen sieht sie die Lösung für viele Ängste. Sich kennenlernen und sich auf andere Menschen einlassen, überzeugt am Ende auch die Skeptiker. Dass es gelingen kann, beweisen nicht nur Harvestehude und die HafenCity.
„Es gibt keinen Stadtteil, der sich nicht beteiligt und die Ehrenamtlichen kommen aus allen Schichten der Gesellschaft“ freut sich Blandow-Schlegel. Auch wenn die Anzahl der Flüchtenden, die Hamburg erreichen, erheblich niedriger als im Vorjahr ist, hält sie die Forderung der Opposition, die Maßnahmen zur Schaffung von öffentlichen Wohnraum zurückzufahren für einen großen Fehler. Zu kurz gesprungen angesichts der weltweiten Flüchtlingswanderungen und typisch für eine Opposition, findet die Hamburger Abgeordnete, die mit ihrer Kritik am „Türkei-Deal“ der Bundesregierung nicht allein in ihrer Partei ist.
Allerdings weiß sie auch um die Probleme, die entstehen können, wenn durchstrukturierte Helfer-Initiativen auf traumatisierte Flüchtlinge und auf die Verwaltung, die einen sogenannten Unterbringungsauftrag hat, treffen. „Geduld, Geduld und nochmals Geduld“ müssen aus ihrer Sicht die ehrenamtlichen Helfer, die sich neben Legislative, Exekutive, Judikative und Medien zur „Fünften Kraft“ im Staat entwickeln, mitbringen. „Die Ehrenamtlichen erleben gerade, wie sie die Gesellschaft mitgestalten können. Sie bringen ihre Kompetenzen ein und erzeugen eine große Integrationsleistung. Für alle, die aktiv sind, ist das eine große und – auch im christlichen Glauben – sinnstiftende Bereicherung, die nicht nur uneigennützig ist“, stellt sie fest und warnt dabei vor der Überzeugung „…allein zu wissen, wie es richtig geht“.
Sinnstiftend ist das ehrenamtliche Engagement in der Flüchtlingshilfe Harvestehude auch für Hendrikje Blandow-Schlegel, die neben ihrer Arbeit als Rechtsanwältin und als Abgeordnete in der Hamburger Bürgerschaft alle Anfragen, die den Verein erreichen für die diversen Arbeitsgruppen koordiniert. n CF
www.fluechtlingshilfe-harvestehude.de