Wechselstimmung in den Fleeten
Jörg Munzinger schreibt in seiner Kolumne „#urbnhafencity“ über seine Eindrücke und Beobachtungen in der HafenCity. Seine Leidenschaft sind Immobilien, Architektur und Städtebau. Er wohnt in der HafenCity.
Wind und Wetter prägen mit ihren Lichtstimmungen auch den individuellen Charakter eines Stadtquartiers. In der HafenCity kommt noch eine weitere Facette hinzu, die es so woanders nicht gibt: den Wechsel der Gezeiten.
An keinem anderen Ort in Hamburg lassen sich die Gezeiten so nah erleben, wie in der HafenCity mit ihren Fleeten und Hafenbecken. Für die einen ist es nur so, dass das Wasser zweimal täglich kommt und geht. Wer interessiert und offen ist, kann jedoch ein Naturschauspiel mitten in der Stadt erleben. Durch den Tidenhub verändert sich nicht nur der Wasserstand, sondern auch in Folge dessen die Lichtstimmungen und der Gesamteindruck einer Stadtlandschaft.
Mit einer oft hohen Geschwindigkeit strömt das Wasser in den Fleeten, als ob eine unsichtbare Kraft wirkt, die einem Ehrfurcht und ein Gefühl der Bescheidenheit vermittelt. So mancher Bewohner in der HafenCity hat daher eine besondere Beziehung zum Wasser.
Immer wieder lassen sich Extreme erleben. Mit den Herbststürmen verwandeln Sturmfluten die Hafenbecken mit den angrenzenden Kais in riesige Seenlandschaften. Für kurze Zeit ist dann der Ort kaum wiedererkennbar. Bei starkem Ostwind kann ein extremes Niedrigwasser entstehen. Dann entsteht auf einmal eine völlig neue Landschaft: ein kleines Wattenmeer mit Prielen und Sandbänken in deren Schlick Seevögel suchen nach Nahrung suchen. Und dann wieder nach Tagen strengen Frosts, türmen sich Eisschollen auf wie in einem Bild von Casper David Friedrich. Bei Ebbe geben diese durch das Bersten gespenstische Geräusche wieder.
Das Erleben von Ebbe und Flut in den Fleeten ist eine Sehenswürdigkeit wie Speicherstadt und Elbphilharmonie. Touristen stehen immer wieder interessiert an den Brücken, posten Bilder von Hoch- und Niedrigwasser. Eine Gezeitenuhr am St. Annenplatz mit Erklärungen und Bildern von Extremen wäre sicher eine Attraktion. Diese hätte auch Tradition: am Vorgängergebäude des Kaispeichers A gab es schon einmal einen Wasserstandanzeiger in Form einer Turmuhr.