Zollzaun weg – was kommt jetzt?
Erbarmen, die Planer kommen
Mit dem Zollzaun fällt der „eiserne Vorhang“ von Wilhelmsburg – zu diesem großen Ereignis legte Olaf Scholz, Erster Bürgermeister der Freien und Hansestadt Hamburg, Mitte Januar selbst Hand an und begann mit einem Schneidbrenner den Zaunabriss. Unter den wachsamen Augen von Bezirksamtschef Andy Grote, Bürgerschaftspräsidentin Carola Veith und zahlreichen Wilhelmsburgern begannen die Arbeiten, an deren Ende der ungehinderte Zugang zum Spreehafen für alle Hamburger steht. Der Spreehafen ist eine Wasserfläche fast von der Größe der Außenalster, heute beherrscht von pittoresken Hafenliegern und ungestört rastenden Wasservögeln. Ein Großteil der Wasserfläche fällt bei Niedrigwasser trocken und bildet Wattflächen, schiffbar sind nur wenige Stellen und die Bootsführer müssen aufpassen, nicht auf Grund zu laufen. Olaf Scholz: „Wir legen den Zollzaun nieder. Das tun wir nicht aus Missachtung seiner historischen Rolle, aber die hat er inzwischen ausgespielt. Seit 1903, also 110 Jahre lang, hat das drei Meter hohe stacheldrahtbewehrte Gitter den direkten Weg zwischen den Wohnquartieren und dem Hafenbecken versperrt – für Schmuggler und Bewohner gleichermaßen. 2013 aber wird das Jahr der IBA, der Internationalen Bauausstellung, und das Jahr der igs, der internationalen Gartenschau. Es wird das Jahr der Wilhelmsburgerinnen und Wilhelmsburger. Da ist kein Platz mehr für einen Zaun. Es geht heute auch darum, dass endlich auch innerhalb Hamburgs die Grenzen an Bedeutung verlieren, weniger sichtbar sind.“
„Auch wenn viele unserer Zöllner, die häufig ihr ganzes bisheriges Berufsleben mit und an dem Zollzaun verbracht haben, den Fall dieses Zaunes vielleicht mit ein wenig Wehmut beobachten werden, freuen wir uns doch darüber, dass die Zollgrenze nun mitten im Herzen der Stadt entfallen kann“, sagte Colette Hercher als Präsidentin der Bundesfinanzdirektion Nord.
Der Spreehafen hat einen ganz eigenen Charme: Deichübergänge für Fußgänger und Radfahrer erleichtern jetzt die Zugänglichkeit, neue Freitreppen laden zum Sitzen ein, Rampen und eine neue Ampelanlage schaffen eine kurze Verbindung zwischen dem Hafenbecken und dem Stübenplatz im Herzen des Reiherstiegviertels. In wenigen Minuten können Spaziergänger nun von dort ans Wasser gelangen. Zwei weitere Deichübergänge und eine neue Fußgängerampel erleichtern entlang der Harburger Chaussee außerdem den Zugang zum Wasser. Spaziergänger und Radler können auf einem 4,5 Kilometer langen Spazierweg um den ganzen Spreehafen herum authentische Hafenstimmung und Industrieromantik erleben: Lange Deiche und Polderwände sind zu sehen, in großen Hallen lagern Kakaoberge, auf Gewässer liegen Schuten und schwimmendes Hafengewerbe.
IBA-Geschäftsführer Uli Hellweg sagte: „Mit der Öffnung des Spreehafens greift die IBA Hamburg eine langjährige Forderung der angrenzenden Stadtteile auf. Mit der heutigen Öffnung des Spreehafens rücken Elbinseln und Hamburger Innenstadt näher zusammen. Außerdem vereinen sich Hafennutzung und Freizeitaktivität für eine höhere Lebensqualität der Anwohner. Dazu gewinnt der Deich durch dieses Projekt mit den Freitreppen, die sich in das Deichbild einfügen, eine neue gestalterische Dimension.“
Doch wie geht es jetzt weiter mit dem Spreehafen? Die verschiedensten Fraktionen haben inzwischen Interesse angemeldet. Die HPA, die zurzeit immer noch die Verwaltungshoheit über die Wasserfläche innehat, möchte das Gebiet als mögliche Reservefläche behalten – eine seltsame Vorstellung, da schon der Zugang zum Spreehafen über Reiherstieg oder Hansahafen für etwas größere Schiffe Glückssache ist und die Hafenfläche trotz Ausbaggerungsmaßnahmen immer wieder versandet. Auf der anderen Seite regt das Gewässer die Fantasie der Stadtplaner an, in manch einer Schublade mögen schon die Pläne für eine HafenCity-ähnliche Erschließung bereitliegen. Die Befürchtung vieler, darunter auch der Hausbooteigner: Mit der Öffnung werden auch die Freiräume verloren gehen, die bisher – wenn auch nur halblegal – immerhin noch zu einem Teil bestanden. Nach und nach geht der Charme des Unvollkommenen in den vielen noch unerschlossenen Hafenbereichen verloren. Ordnung und aufgeräumte Sterilität tritt an die Stelle romantisch verwunschener Plätze, die den eigentlichen Reiz des Hafens ausmachen. Im und am Spreehafen hat die Stadt die Chance, Freiräume zu schaffen, und sei es nur, Platz für eine Hausbootkultur zu schaffen, die abseits der schwimmenden Designerwohnungen liegt, die bisher das offizielle Bild der Hamburger Hausboote bestimmen. Vor Jahren propagierte der Senat einmal Hamburg als Hauptstadt der Hausbootkultur, mit 1.500 Liegeplätzen und Leben auf dem Wasser. Von dieser Vision ist im Dschungel der Bürokratie nicht viel übrig geblieben, gerade mal zehn Boote im Eilbekkanal und eine Handvoll im Mittelkanal. Am Spreehafen hat die Stadt jetzt die Chance, zumindest einen Teil dieses Versprechens einzulösen, und sollte sie nutzen – ohne dass die Stadtplaner neue Meisterstücke abliefern.